Der KTM BLOG sprach mit Red Bull KTM Grand Prix Rookie Pauls Jonass, der Chancen auf den zweiten Platz in der MX2-Weltmeisterschaft hat, über die notwendige Fitness, um auf Topniveau mithalten zu können.
Pauls Jonass KTM 250 SX-F 2015
Jeder, der einmal Offroad gefahren ist, weiß, dass es zahlreiche Muskelpartien belastet (viele, die wir nicht täglich benutzen und uns am nächsten Morgen fühlen lassen wie Frankensteins Monster) und ein intensives Kardio-Training sein kann. Motocross ist eine der härtesten Disziplinen und die körperliche Belastung bei den auf unterschiedlichen Terrains und unter verschiedenen Bedingungen gefahrenen Läufen besonders groß.
„Ich würde das kardiovaskuläre Profil eines Motocrossrennens auf höchstem Niveau mit einem 10 km Lauf vergleichen; Zeit, Puls und Laktatspiegel sind ziemlich ähnlich“, sagt Stefan Nüsser, Sportwissenschaftler bei SNDC in Deutschland und Motocross-Trainer. „Es ist ein sehr anspruchsvoller Sport. Während eines Rennens liegt der Puls im Durchschnitt bei 180 und höher, der Laktatspiegel bei 4-8 mmol/l, das ist weit über der anaeroben Schwelle. Durch die hohe Belastung der Muskeln dauert der Regenerationsprozess nach dem Rennwochenende länger.“
Pauls Jonass KTM 250 SX-F 2015
„Als Motocrosser muss man ziemlich hart im Nehmen sein“, meint Red Bull KTM Werksfahrer Pauls Jonass; der 18-jährige ehemalige Europameister kämpft in seiner ersten Saison als Werksfahrer mit seiner KTM 250 SX-F um den zweiten Platz in der Weltmeisterschaft. „Wenn man uns mit Radrennfahrern vergleicht, dann geht es um zwei verschiedene Arten von Stärke. Unser Puls mag für 30 Minuten bei fast 200 liegen, aber ein Radrennfahrer hält einen Puls von 140-150 für drei bis vier Stunden. In der Italienischen Meisterschaft auf der Sandstrecke in Riola habe ich das letzte Mal eine Pulsuhr getragen. Mein maximaler Puls im Rennen lag bei 200, durchschnittlich aber bei 190. Das ist ziemlich hoch!“
Bereits jetzt hat Jonass die Erwartungen für die Saison 2015 übertroffen. Der freundliche und selbstbewusste Lette beendete 2014 sein Lehrjahr und kam ins Red Bull KTM Werksteam; mit dem Ziel, konstant Top10-Ergebnisse einzufahren. Das war – verständlicherweise – eine konservative Schätzung. Zur Zeit liegt er auf Platz 4 der Weltmeisterschaft und stand in der MX2 bereits mehrfach auf dem Podium. Begründet liegt diese Leistungssteigerung zum einen in seinem Status als Werksfahrer, aber auch in seiner Arbeit mit dem 125 Junior Teamchef und ehemaligen Weltmeister Stefan Everts in den Wintermonaten. Diese Trainingsdisziplin war eine Grundvoraussetzung, um es bis an die Spitze der MX2 zu schaffen.
Stefan Everts & Pauls Jonass Spanien 2015
„Ich würde sagen, das richtig harte Training begann, als ich 15 war und von der 85ccm- in die 125ccm-Klasse aufsteigen musste“, erinnert er sich. „Das Motorrad wird größer und schwerer und der Wettkampf härter. In der 85er-Klasse gab es noch Konkurrenten, die dachten ‘Den lass ich vorbei’, aber in der 125er passiert das nicht mehr. Jedes Jahr möchtest du aufsteigen, dich verbessern und um das zu erreichen, musst du an dir arbeiten.“
Unter der Leitung von Everts ehemaligem Trainer Willy Linden verbrachte Jonass einen großen Teil des Winters (von Oktober bis Weihnachten) in Belgien und arbeitete nach einem neuen Trainingsplan. „Das ist das erste Jahr, in dem ich fast jeden Tag im Fitnessstudio war. Ich musste Kraft aufbauen und das war teilweise gar nicht so einfach. Ich habe sogar ein paar Kilo abgenommen! Der erste Monat war ziemlich anstrengend und auch danach wurde es nicht wirklich einfacher, aber ich verfiel in eine Art Rhythmus und gewöhnte mich daran. Wenn ich mich müde fühlte, habe ich es ein paar Tage ruhiger angehen lassen, aber die meiste Zeit haben wir auf Hochtouren gearbeitet. Die meisten Übungen war neu für mich. Den Winter über habe ich Gewichte gestemmt und an der Kraft gearbeitet, da ging es weniger um Beweglichkeit und Balance. Als die Saison begann, haben wir auf leichtere Gewichte umgestellt und die Übungen variiert. Früher habe ich Kraft und Beweglichkeit parallel trainiert, jetzt trainiere ich Kraft gefolgt von Beweglichkeit.“
Normalerweise verbringen Grand Prix-Fahrer auch zwischen den Rennen sehr viel Zeit auf dem Motorrad und trainieren auf Hardpack- oder Sandstrecken, wie sie auch im MXGP-Kalender zu finden sind. Das bedeutet stressige Tage auch abseits der Weltmeisterschaft, oftmals mit nationalen oder internationalen Events, die als eine Art Test oder Training genutzt werden.
Pauls Jonass KTM 250 SX-F 2015
Jonass gibt einen Einblick in seinen Trainingsplan: „Im Winter kommt es auf die Woche an, aber normalerweise trainiere ich zwei bis vier Mal mit dem Motorrad, jeweils zwei längere Durchgänge. Pro Tag habe ich zwei bis drei Trainingssessions; zweimal im Fitnessstudio und einmal auf dem Motorrad. Nach dem Training am Morgen gehe ich fahren, bevor ich am Nachmittag oder Abend zum Laufen oder Radfahren nochmal ins Fitnessstudio gehe. Zwischendurch habe ich einen Tag frei.“
„Ich versuche, immer auf den Plan zu achten und ihn soweit wie möglich zu befolgen. Manchmal ist es aber unmöglich nach dem Motorradfahren nochmal Laufen zu gehen; dann rufe ich Willy an und frage, ob ich stattdessen Fahrradfahren kann. Ich bin nicht der Typ, der sagt, ‘das ist mir zu anstrengend, das mag ich nicht’; ich fühle mich lieber so, als wäre ich zweimal 40 Minuten in Lommel (Sandstrecke in Belgien) gefahren, komme nach Hause und bin auf angenehme Weise erschöpft. Das fühlt sich gut an. Wenn ich mich müde fühle, dann weiß ich, dass ich gut trainiert habe.“
Neben der sportlichen, gibt es auch die wissenschaftliche Seite eines professionellen Athleten. „Dreimal im Jahr machen wir CO2-Tests und jeden Monat eine Blutuntersuchung, um zu sehen, wie es mir geht und ob ich irgendetwas brauche. Diese medizinischen Tests waren neu für mich, aber das Ergebnis war hilfreich, denn so konnten wir sehen, dass ich vielleicht ein bisschen zu viel gemacht habe und mich ein bisschen zurücknehmen musste. Bei einer Blutuntersuchung siehst du alles.“
Als Red Bull-Sportler hat Jonass Zugang zum umfangreichen Trainings- und Rehabilitationszentrum in Österreich. „Mittlerweile war ich vier- oder fünfmal dort, aber das erste Mal war irgendwie speziell“, erinnert sich Jonass. „Man ist für fast eine Woche dort und so gut wie an jedem Tag gibt es einen Test; auch psychologische Tests, bei denen du über Dinge sprechen musst, die dich beschäftigen und Aufgaben am Computer lösen musst. Mit 14 war ich das erste Mal dort, habe mich ziemlich gelangweilt und daher auch sehr schlecht abgeschnitten! Am Ende war es aber sehr hilfreich, weil ich viel über mich gelernt habe.“
Pauls Jonass Thailand 2015
Lange wurde angenommen, dass Motocross-Fahrer physische Kraftpakete sein müssten, um in ihrem Sport erfolgreich zu sein. Mittlerweile glaubt Nüsser aber, dass mit Weltmeistern und Fahrern wir Tony Cairoli, Romain Febvre und Jeffrey Herlings, die alle eher schmal gebaut sind, aber trotzdem Kraft und Technik verkörpern, ein Umdenken stattfindet.
„Mein Gefühl sagt mir, dass sich das Profil eines MX-Fahrers im Moment verändert. Früher gab es diese physisch starken Fahrer mit begrenztem Fahrtalent. Heute spielt die physische Seite eine etwas weniger wichtige Rolle und das tatsächliche Talent auf dem Motorrad rückt mehr in den Vordergrund.“
Um ein erfolgreicher und professioneller Motocrosser zu sein, müssten Fahrer wie Jonass demnach schon in sehr jungen Jahren auf dem Motorrad sitzen, um ein Gefühl für das Bike und das Gelände zu entwickeln. Allerdings hört dieser kontinuierliche Lernprozess durch wiederholtes Training und Fahren nie auf und begleitet Rennfahrer bis ans Ende ihrer Karriere. Anders gesagt, es braucht viel Engagement und Entschlossenheit, um es bis ganz nach oben zu schaffen. Beim Motocross geht es nicht ausschließlich um die physiologischen und genetischen Voraussetzungen wie bei anderen Ausdauersportarten.
„Motocross ist ein sehr komplexer Sport und die physiologische Seite ist nicht allein verantwortlich für das Ergebnis eines Fahrers“, fügt Nüsser hinzu. „Ich bin überzeugt, dass jeder Fahrer seine physische Leistungsfähigkeit auf das Niveau eines Weltmeisters bringen kann, während es bei Sportarten, bei denen es hauptsächlich auf die physische Leistung ankommt, wie Radfahren, Laufen, Rudern oder Skilanglauf, ein gewisses genetisches Talent braucht, um auf Topniveau mithalten zu können. Trotzdem wird die Belastung auf den Körper oftmals unterschätzt. Vielleicht ist das ein Grund, warum viele Fahrer in den USA so oft mit Mitte 20 ihre Karriere beenden.“
Egal, was für ein Talent ein Fahrer ist, auch ein Grand Prix-Sieger muss für seinen Erfolg arbeiten. Viele Topfahrer finden neben dem physischen Training auch einen Weg, gleichzeitig ihre Psyche zu trainieren. Einige MX-Fahrer gehen Klettern, Skifahren oder Boxen, um sich ein bisschen Ablenkung zu verschaffen. Auch Jonass hat im Winter etwas Neues für sich entdeckt: „Im Winter waren wir Rollerski fahren! Es sieht ein bisschen komisch aus, aber es ist ein effektives Training. Sowas wie Mountainbike fahren, ist zu gefährlich. Schon ein kleiner Sturz kann zu einer schweren Verletzung führen. Klar macht Abwechslung das Training interessanter, aber man muss immer daran denken, jederzeit fürs Rennen bereit zu sein.“
Fotos: Red Bull Content Pool | www.ktmimages.com
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