Fünf lange Jahre fuhr Romano Fenati (SKY Racing Team VR46) in der Moto3, nun steigt der wohl schnellste und talentierteste Pilot im Feld in die Moto2 auf. Es wurde auch Zeit.
Romano Fenati (ITA) 2016
April 2012, Katar, das erste Rennen der damals neugeschaffenen Moto3-WM. Ein junger Bursche, drei Monate zuvor erst 16 geworden, führt sensationell das Feld an. Im Ziel ist er Zweiter. Romano Fenati. Romano-wer? Kaum einem Beobachter im Fahrerlager, von den Millionen vor den TV-Geräten ganz zu schweigen, ist der Name des Neulings geläufig. Romano FE-NA-TI.
Drei Wochen später, Jerez. Die Piste nass, die Bedingungen schwierig. Es wird ein Rennen, von dem sie noch heute im Fahrerlager sprechen. Unvergesslich. Dieser Jungspund aus Italien, dieser Fenati, schon wieder der! Gegen Rennmitte übernimmt er die Führung und bewegt sich fortan in seinem eigenen Kosmos. Um sagenhafte eineinhalb bis zweieinhalb Sekunden pro Runde fährt Fenati seinen Verfolgern davon. Im Pressezentrum starren sie auf die Zeitenmonitore und reiben sich die Augen. Es ist, als würde einer übers Wasser gehen. Im Ziel ist Fenati dem Rest des Feldes um ewige 36 Sekunden enteilt und Italien feiert ihn. Der neue Valentino Rossi. Das muss er sein. Wenn nicht dieser Romano Fenati, wer dann?
Fünf Jahre später. Das Super-Super-Super-Talent von damals fährt immer noch Moto3. Seine einstigen Kontrahenten, die Viñales, Millers und Rins, fahren bereits in der Premium-Klasse MotoGP oder stehen kurz davor. Fenati aber ist in der Einsteigerklasse hängen geblieben. Sein Teamchef ist mittlerweile jener Mann, in dessen Fußstapfen er hätte treten sollen: Valentino Rossi, neunfacher Weltmeister. Rossi hat unlängst bekannt gegeben, dass sein SKY Racing Team VR46 2017 in die Moto2 aufsteigen wird – mit Romano Fenati. Endlich, endlich, ist man geneigt zu sagen.
Romano Fenati (ITA) KTM RC250 GP 2016
Fahrerlager Sachsenring, Freitagabend halb sechs. Wir sitzen mit Laura, der SKY Racing Team VR46-Pressedame, in der Team-Hospitality. Interviewtermin mit Fenati. Doch der kommt nicht. Es vergehen zehn Minuten, 20 Minuten – kein Fenati. Nach 50 Minuten Warten geben wir auf und gehen. Tags darauf erklärt uns Laura, Fenati habe irrtümlicherweise im Team-Truck gewartet.
Fünf Jahre Moto3. Eine Ewigkeit in einer Kategorie, die ein Fahrgenie wie Fenati eigentlich im Schnelldurchgang bewältigen sollte. Der italienische Kollege von Gazzetta dello Sport sagt, er habe den Eindruck, Fenati lasse gelegentlich die nötige Disziplin, die Bereitschaft hart zu arbeiten vermissen. Ist dem wirklich so? Schaut man genauer hin, lassen sich durchaus andere Gründe für die lange Verweildauer Fenatis in der Moto3 finden.
2012: Ab Saisonmitte fallen die FTR-Honda hinter die zunehmend dominanten KTM zurück. 2013: Fenati steht puncto Material auf verlorenem Posten. 2014: Fenati wechselt zu KTM, gewinnt drei der ersten sechs Rennen, doch das neue SKY Racing Team VR46 muss sich noch finden. Teammanager Vittoriano Guareschi und Fenatis Crew Chief Rossano Brazzi verlassen das Team. 2015: Die neue KTM-Maschine trägt die Handschrift von Vize-Weltmeister Jack Miller, doch damit hat so mancher KTM-Pilot, auch Fenati, seine Probleme. Fenati und sein Team müssen die Maschine während der Saison an seinen Fahrstil anpassen. 2016: Fenati bleibt zwei Mal unverschuldet punktelos. In Argentinien, als kurz vor dem Start Regen einsetzt und das Setup nicht passt. Und in Mugello, als Fenati, von der Pole gestartet, mit herunter gesprungener Kette ausfällt, während ausgerechnet KTM-Markenkollege Brad Binder siegt und in der WM-Wertung enteilt. So stehen nach viereinhalb Moto3-Jahren für Fenati sieben Siege, drei Pole Position sowie die WM-Platzierungen 6, 10, 5, 4 und aktuell 3. Zu wenig für einen Piloten seiner Qualität.
Romano Fenati (ITA) 2016
„Un animale da gara“ nennen sie in Italien einen wie Romano Fenati. Einer, der im Rennen zum Tier wird. Der keinen Gegner fürchtet, immer rein hält, manchmal hart an der Grenze der Fairness. „Einen Fenati möchtest du in den letzten drei Runden nicht am Hinterrad haben“, sagt Ex-MotoGP-Pilot und KTM-Testfahrer Alex Hofmann und wie Hofmann das sagt, schwingt in seiner Stimme eine Prise Bewunderung mit. Was auffällt: In seinen ersten beiden KTM-Jahren blieb Fenati in den Qualifyings wiederholt blass. Startreihe 4, 5 oder noch weiter hinten. Im Rennen aber war er vorne dabei. Da erwachte das „animale da gara“ in ihm. 2016 hat er diese Quali-Schwäche abgelegt. In den ersten acht Saisonrennen fuhr er ausnahmslos aus den Top 10 los, zwei Mal stand er auf Pole.
Pietro Caprara ist nicht nur Technical Director des SKY Racing Team VR46, er fungiert auch als Fenatis Crew Chief. Keiner hat in den vergangenen eineinhalb Jahren enger mit Fenati gearbeitet. Caprara steigt die Metalltreppe des Team-Transporters herunter, hält den Stummel seiner selbstgedrehten Marlboro White Gold unter den Wasserhahn am Boxengebäude, wirft ihn in den daneben stehenden Mülleimer, dann nimmt er sich Zeit für ein Gespräch. Mutig sei Fenati, unglaublich mutig, sagt Caprara. Aber Fenati sei darüber hinaus ein exzellenter Entwicklungspilot. Deshalb, so Caprara, würde KTM immer gerne Fenati einladen, wenn Testfahrten anstehen. Fenati habe zuletzt seinen Fahrstil verändert, erzählt Caprara. Fenati, der begnadete Spätbremser, fahre die Kurven nicht mehr so rund wie einst. Sondern spitzer. Tendenziell also die MotoGP-Linie: Gerade reinbremsen, Bike umlegen, in gerader Linie rausbeschleunigen. Das, so Caprara, sei definitiv ein Vorteil, wenn Fenati zu den PS-stärkeren Moto2-Bikes aufsteige. „Romano wird weniger Umstellungsprobleme haben als andere Piloten“, prophezeit Caprara. Er wird Fenati auch in der Moto2 betreuen. Die Mechaniker Carlo, Christian und Juanmi bleiben Fenati ebenfalls erhalten. Fenati wird in der Moto2 dieselben Leute um sich haben wie in der Moto3. Konstanz – eine der Erfolgsformeln im Motorrad-Rennsport.
Romano Fenati (ITA) KTM RC250 GP Barcelona (ESP) 2016
Moto2-Testfahrten hat Fenati bereits absolviert. Erst mit einer Speed-up, dann mit einer Kalex. Für welches Fabrikat er sich entscheiden wird, ist noch offen. Regelmäßig übt er in Misano, zwei Autostunden nördlich seiner Heimatstadt Ascoli Piceno, mit einer Straßenmaschine, um sich an die zusätzlichen PS und das höhere Gewicht eines 600er-Motorrads zu gewöhnen.
Sein ehemaliger Teamchef Roberto Locatelli schwärmt geradezu von Fenati. „In der Moto3 ist er für mich klar der beste Pilot.“ Nächstes Jahr in der Moto2 aber, warnt Locatelli, müsse Fenati hart arbeiten. Genau das mache den Unterschied in einer Klasse, in der alle Piloten denselben Motor und zumindest die Top-Fahrer dasselbe Fahrwerk haben. Auf sein Talent dürfe sich Fenati in der Moto2 nicht verlassen. Man könnte auch sagen: Fenati muss seine Kritiker, die genau hier seine Defizite sehen, eines Besseren belehren.
Samstag 19 Uhr, wieder die SKY Racing Team VR46-Hospitality, der zweite Anlauf zu einem Interview. Diesmal ist Fenati pünktlich. Nein, die Vorwürfe puncto mangelnder Disziplin könne er nicht nachvollziehen, sagt er. Welche Schwächen sieht er noch bei sich? „Keine“, sagt er. „Aber das können andere Leute besser beurteilen.“
Tags darauf regnet es. Wie damals, vor fünf Jahren, in Jerez, als Fenatis Stern aufging. Diesmal kommt alles anders. Spießrutenlaufen statt Husarenritt. Nach drei Trainingsstürzen fährt Fenati lediglich von Startplatz 17 los, er kämpft sich durch die Fluten, wird 18. und bleibt punktelos. Der WM-Titel wird Romano Fenati wohl auch bei seinem fünften Anlauf versagt bleiben. Aber, wer weiß, vielleicht klappt´s in der Moto2.
Fotos: Marco Campelli
コメント