In letzter Zeit haben wir viel über die Anforderungen und Herausforderungen, die die MotoGPTM mit sich bringt, gelernt, auch weil uns das Red Bull KTM-Team im Testjahr 2016 sowie in seiner Premierensaison im Grand-Prix-Paddock immer wieder Einblicke gewährte. Dennoch sind wir immer noch neugierig und fragten Pol Espargarós Chefmechaniker Christophe Leonce wie es ist, zum in orange und blau gekleideten Team zu gehören …
Mike Leitner, Teammanager des Red Bull KTM MotoGP Factory Racing Teams, sprach mit uns kürzlich über die Herausforderung, ein Rennteam aufzubauen, das neu in die hartumkämpfte MotoGPTM-Welt einsteigt, in der bis ins kleinste Detail größter Aufwand betrieben wird, um auf einer Runde den kleinen, aber entscheidenden Unterschied zu machen.
Um mehr über die vielen Stunden harter Arbeit zu erfahren, die in einem MotoGPTM-Wochenende stecken, wagen wir uns weiter in die Red Bull KTM-Garage hinein. Dort treffen wir den geselligen und stets freundlichen Christophe Leonce, der sich während einer kurzen Pause zwischen dem ersten und zweiten Freien Training zum Grand Prix von Aragón Zeit für uns nimmt, bevor der Paddock sich auf die Reise zu den drei Überseerennen in Japan, Australien und Malaysia macht. Während dieser Zeit wird größtenteils aus Frachtkisten und Koffern gelebt und gearbeitet. „Wenn man vor dem Fernseher sitzt, sieht es vielleicht aufregend aus, aber für uns ist es meist der gleiche Ablauf: Hotel-Strecke-Bike“, erzählt der 47-Jährige mit einem Lächeln. „Es ist Routine und am Ende ein normaler Job. Allerdings wird man es in diesem Job nur lange aushalten, wenn man die nötige Leidenschaft hat und die Arbeit genießen kann. Es ist anstrengend und man braucht viel Geduld, um lange Zeit im Rennsport arbeiten zu können.“
Christophe Leonce (FRA) Aragón (ESP) 2017
Seit fast 30 Jahren schraubt Leonce für verschiedene Grand-Prix-Teams und hat in dieser Zeit mit einer Vielzahl von Motorrädern und Technologien zu tun gehabt. Die KTM RC16 ist das erste österreichische Projekt und der Fortschritt des Bikes, der auch dem Einfluss des Katalanen Pol Espargaró zu verdanken ist, ist beeindruckend. Hatte KTM zu Saisonbeginn in Katar noch einen Rückstand von mehr als zwei Sekunden pro Runde, sind die KTM-Piloten nun unter den Top 10 zu finden und qualifizieren sich des Öfteren für das Q2 am Samstag.
„Die KTM ist anders; wir verwenden einen Stahlrahmen, während die japanischen Hersteller Aluminium verwenden“, sagt er über die Besonderheit des orangefarbenen Bikes. „Zu diesem Zeitpunkt entwickeln wir uns konstant weiter. Das bedeutet neue Teile und ein neues Fahrwerk, wodurch die Arbeit am Bike knifflig sein kann. Sobald wir eine gute Basis für die neue Saison haben, wird es einfacher, sich um die Details zu kümmern. Man muss schnell sein, um an einem GP-Bike zu arbeiten. Am Ende haben sie aber trotz aller Unterschiede eines gemeinsam, es sind Motorräder mit einem Fahrwerk, einem Motor und zwei Rädern.“
In der Zwischenzeit werden die Motoren gestartet; das dunkle Grummeln der KTM RC16 bedeutet, dass wir die Box verlassen und unser Gespräch draußen fortsetzen müssen, wo wir – flankiert von den beiden Trucks und geschäftigen Teammitgliedern – mehr über Christophes tägliche Arbeit sowie über die seiner 30-40 Kollegen erfahren …
Ok, beschreibe das Arbeitspensum und den typischen Ablauf bei einem Grand Prix … „Wir kommen Mittwochmorgen zwischen 8 und 9 Uhr an die Strecke und fangen an, die Box aufzubauen, womit wir gewöhnlich vor dem Mittag fertig sind. Am Nachmittag beginnen wir, die Bikes vorzubereiten. Fast eineinhalb Tage verbringen wir mit der Wartung und Vorbereitung der Bikes. Eines der beiden wird vollständig gestripped, gereinigt, geprüft und mit neuen Teilen wieder aufgebaut. Beim Aufbau folgen wir einem festgelegten Schema und bevor wir das Bike am Donnerstag starten, überprüft unsere Dateningenieurin Jenny alle Systeme und Sensoren. Nachdem wir das Bike gestartet haben, überprüfen wir alles noch einmal. Es geht immer darum, alles bestmöglich zu kontrollieren. Am Freitag, Samstag und Sonntag sieht der Ablauf ähnlich aus: Wir kommen an die Strecke, starten und überprüfen die Bikes – jeden Tag checken wir die Sensoren und Elektronikteile, entlüften die Bremsen und Kupplung – dann müssen wir den Benzintank entleeren und wiegen, um den Verbrauch zu messen. Dreißig Minuten vor dem Training starten wir erneut das Bike, bereits mit Rennbenzin, aber immer noch mit ‘Transport’-Reifen, die wir im Prinzip nur nutzen, wenn wir das Bike bewegen; die Rennreifen lagern noch im hinteren Teil der Garage und werden mit den Reifenwärmern vorgeheizt. Der letzte Check beinhaltet auch das Computersystem. Zum Schluss ziehen wir die Rennreifen auf und dann ist das Bike bereit für die Rennstrecke.“
Welcher Tag ist tendenziell der stressigere und hektischere? Die Tage der Vorbereitung? Der Stress im Qualifying? Oder die Spannung am Renntag? „Qualifying und Training sind meist schon etwas stressiger, denn man will keinen Fehler machen und man muss ruhig bleiben und wachsam sein für das, was passieren könnte. Im Prinzip muss man auf die Dinge vorbereitet sein, bevor sie passieren! Mittwoch und Donnerstag sind die Tage, an denen mehr los ist, danach ist es eine Frage von Wartung und kleinen Anpassungen. Wenn wir die Jungs auf die Strecke schicken, sollten wir durch die regelmäßigen Kontrollen alle Probleme eliminiert haben, aber das Risiko lässt sich nie gänzlich vermeiden; im Motorsport kann man nie alles unter Kontrolle haben.“
Pol Espargaró (ESP) KTM RC16 Aragón (ESP) 2017
Wie verhält es sich mit dem Zusammenpacken und dem Verladen der Bikes? Werden sie in ihrer Gesamtheit transportiert oder auseinander genommen? „So wie sie sind, werden sie transportiert. Wir nehmen sie nicht auseinander, aber wir müssen vorsichtig sein, denn der Motor nutzt eine pneumatische Ventilsteuerung, so dass wir eine bestimmte Transportvorrichtung verwenden müssen, die im Prinzip aus einem mit Luft befüllten Tank mit niedrigem Druck besteht, um die Ventile in der richtigen Position zu halten. Das ist eigentlich die einzige Maßnahme, die wir für den Transport ergreifen. Während des Transports befindet sich kein Benzin im Tank, Wasser hingegen schon. Im Prinzip ist es nur ein weiterer Prozess. Auf eine Weise bauen wir das Bike auf und auf eine andere nehmen wir es auseinander. Normalerweise arbeiten wir dabei als Team – das ist eine nettere Atmosphäre und geht auch viel schneller.“
Wie ist deine Beziehung zu Pol? Tauscht ihr euch häufig aus? „Pol ist ein junger Fahrer, aber er wirkt, als spüre er kaum Druck. Er begegnet dem Druck mit Späßen und einem Lachen und es ist schön, mit so jemandem zu arbeiten. Ich habe auch schon mit Fahrern gearbeitet, die komplett ernst in die Box kamen und mit niemandem gesprochen haben. Für mich macht das einen großen Unterschied. Pol ist trotz seines relativ jungen Alters schon sehr erfahren und daher macht er viele Vorschläge. Es ist eine tolle Erfahrung, mit ihm arbeiten zu können.“
Christophe Leonce (FRA) KTM RC16 Aragón (ESP) 2017
Die riesige Red Bull Energy Station ist für 2017 ebenfalls neu. Es scheint der ideale Ort zu sein – auf jeden Fall ist sie groß genug – um eine Auszeit von der Arbeit zu nehmen … „Es ist großartig, denn dort triffst du auch andere, weniger gestresste Leute abseits des Rennsports und das Team kümmert sich perfekt um uns. Es ist der ideale Platz, um sich nach getaner Arbeit ein bisschen zu entspannen.“
Red Bull KTM ist ein neues Team; hat es Zeit gebraucht, bis ihr als Team zusammengewachsen seid und die Prozesse abgestimmt waren? „Ich bin froh, in einem neuen Team arbeiten zu können. Wir arbeiten zwar erst seit relativ kurzer Zeit zusammen und viele sind ganz neu zu KTM gekommen, aber alle waren von Beginn an voll dabei, als es darum ging, das Bike zu testen und zu entwickeln. Jeder im Team weiß, was er oder sie zu tun hat und es herrscht eine gute Stimmung. Das Team ist jung … aber viele im Team haben jahrelange Erfahrung, sie kennen also ihren Job. Es macht die Arbeit einfacher, wenn sich das Team aus Leuten zusammensetzt, die schon in diesem Bereich gearbeitet haben. Neue Leute bringen am Anfang viel Energie mit, aber sie kommen auch schnell an einen Punkt, an dem sie denken ‘whoah’ – entweder, weil sich die erwarteten Ergebnisse nicht einstellen oder wegen der Menge an Arbeit, aber wie schon gesagt, das wichtigste ist die Leidenschaft für den Motorradrennsport.“
Christophe Leonce (FRA) Aragón (ESP) 2017
Fotos: KTM
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