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Jeremy kann´s nicht lassen

Der Mann ist 52, aber wann immer sich die Chance bietet, ein Rennmotorrad auszuführen, lässt sich Jeremy McWilliams nicht zwei Mal bitten. Zu KTM pflegt der einstige Grand Prix-Pilot seit vielen Jahren engen Kontakt und so kam es, dass er zusammen mit anderen motorsportlichen Vorruheständlern beim 690 DUKE Battle in Assen mitfuhr.

Irgendwann ist gut, sagt sich Jeremy McWilliams. Samstagnachmittag halb sechs, gleich startet das zweite Qualifying zum 690 DUKE Battle-Rennen, doch der Regen will nicht aufhören. Also entscheidet McWilliams, sich nicht in sein Leder zu zwängen. An eine Verbesserung der Rundenzeit aus dem ersten Qualifying ist angesichts der nassen Piste ohnehin nicht zu denken. McWilliams nimmt Platz auf einem der Stühle im KTM-Hospitality-Zelt. Gattin Jill reicht ihm seinen orange-roten Helm, McWilliams passt in aller Seelenruhe ein neues Visier ein und während sich McWilliams´ DUKE Battle-Kollegen bereit machen für Qualifying 2, nimmt er sich Zeit für ein Interview.

Jeremy McWilliams KTM 690 DUKE Assen (NED) 2016

Jeremy McWilliams KTM 690 DUKE Assen (NED) 2016


Jeremy, was hast du getrieben in den vergangenen Jahren? Er beginnt zu erzählen. Von den sporadischen Einsätzen für KTM in der Superbike-IDM. Von seinen Siegen in der US-Battle of Twins-Serie. Von seinen vielen Reisen zu den Phillip Island Classic in Australien, wo er mittlerweile Stammgast ist. Von seiner Rolle im Hollywood-Streifen „Under The Skin“, in dem er für die schöne Scarlett Johansson den motorradfahrenden Bodyguard spielen durfte. Und er erzählt von seinem verwegenen Comeback in der Motorrad-WM vor zwei Jahren, als er sich bereit erklärte, für die britische Kultmarke Brough Superior beim Silverstone-Grand Prix deren Moto2-Chassis zu fahren. Keine vorherigen Tests, ein völlig neues Bike, die Moto2-Heißsporne um ihn herum hätten seine Söhne sein können, kurzum: ein hoffnungsloses Unterfangen. „Aber die Brough Superior-Jungs haben halt einen jungen, vielversprechenden Fahrer gesucht“, sagt er.

Dann sind da die unzähligen Tests für KTM. Wann immer sie in Mattighofen jemand suchen der weiß, wie man ein Motorrad abstimmt – sie wählen McWilliams´ Nummer. Egal ob RC8- oder SUPER DUKE-Entwicklung. McWilliams, darauf können sich die KTM-Techniker verlassen, erzählt ihnen keinen Blödsinn, wenn er vom Motorrad steigt. Auch wenn KTM später seine fertigen Produkte der Weltpresse vorstellt, ist McWilliams zugegen. Wie im Frühjahr 2016 bei der KTM 1290 SUPER DUKE GT-Präsentation auf Mallorca. KTM hat Journalisten aus aller Welt geladen, alle dürfen sie das neue Bike testen. Wer eskortiert die Journalisten über die Insel, hat auf jede ihrer Fragen eine kompetente Antwort und unterhält sie beim Abendessen mit köstlichen Anekdoten aus seiner Karriere? Klaro, Jeremy McWilliams.

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Einst war er einer der Großen im Grand Prix-Rennsport. Ab 1993 Jahre 500er-WM, danach MotoGP, dazwischen Abstecher in die 250er-Klasse. Weil McWilliams jedoch selten zum richtigen Zeitpunkt auf dem richtigen Motorrad saß, reichte es nur zu einem Grand Prix-Sieg: 2001, hier in Assen, bei den 250ern. Sein Speed war unbestritten, davon zeugen drei Pole Positions. Eine Pole gelang ihm 2002 auf Phillip Island, als er mit der 500er-Zweitakt-Modenas die weitaus stärkeren 990ccm-Viertakter hinter sich ließ. Trotz 30 km/h-Topspeed-Manko.

Aus seinen MotoGP-Zeiten resultiert auch die Verbundenheit zu KTM. 2004 und 2005 war es, als McWilliams die Maschine des Roberts-Teams mit dem KTM-Motor testen durfte. Das Projekt wurde bald wieder eingestampft, McWilliams blieb ein Renneinsatz versagt. Doch seine profunden Aussagen über die Maschine und die exzellenten Rundenzeiten hatten bei den KTM-Verantwortlichen Eindruck hinterlassen. Heute ist Jeremy McWilliams festes Mitglied der KTM-Familie.

So war es naheliegend, dass sie bei KTM Niederlande McWilliams kontaktierten, als sie eine prominente Auffrischung für ihr 690 DUKE-Battle-Rennen im Rahmen des Grand Prix in Assen suchten. Auch andere ehemalige WM-Piloten sind geladen: Jarno Janssen, Henk van de Lagemaat, Jasper Iwema, Arie Vos. Doch es ist vor allem Jeremy McWilliams, der das Interesse der Fans auf sich zieht. Die mögen es dem alten Haudegen nachsehen, dass der aufs zweite Qualifying pfeift und stattdessen in der KTM-Hospitality sitzt, während sich die anderen Promis draußen durch den Regen mühen.

Eigentlich haben wir unseren Fragenkatalog abgearbeitet, aber Moment, einen Punkt hätten wir noch: Jeremy, ein bisschen lebensmüde bist du schon, oder? Er lächelt, es arbeitet in seinem Kopf, dann fällt der Groschen: „Du meinst das North West 200?“ Logo, was sonst.

Was treibt einen 52-Jährigen, verheiratet, zwei Söhne, dazu, ausgerechnet bei diesem gefürchteten Straßenrennen mitzufahren? North West 200 in McWilliams´ Heimat Nordirland, abgehalten alljährlich im Mai, bedeutet: mit bis zu 300 Sachen vorbei an Hauswänden und Laternenmasten. McWilliams schaut rüber zur Gattin, dann sagt er: „Okay, für Jill ist der Mai keine entspannte Jahreszeit.“

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Ein McWilliams fährt beim North West 200 nicht nur mit, er gewinnt regelmäßig. Und in diesem Jahr brachte er es fertig, in vier Klassen anzutreten: Supersport 600, Superstock 1000, Superbike, Super Twin. Geht´s noch? Er holt tief Luft, dann sagt er: „Ich bespreche alle Rennen, zu denen ich eingeladen bin, mit meiner Familie.“ Sie säßen dann zusammen am heimischen Küchentisch in Belfast und gemeinsam werde erörtert, ob Papa das Okay bekommt. Alle dürfen mitreden, auch die Söhne Jack (22) und Zak (18). Nur wenn der Familien-Rat zum Schluss kommt Papa darf, nur dann fährt er. „Früher haben wir diskutiert, was unsere Söhne dürfen. Heute wird diskutiert, was ich, der Papa, darf.“

Wenn der Papa dann irgendwo auf der Welt auf irgendeinem Rennmotorrad sitzt, gibt es stets Kontrollanrufe der Söhne. Auch heute, bei diesem vergleichsweise harmlosen VIP-Einsatz in Assen, klingelte schon das Telefon, Zak war dran: Wie läuft´s Papa? Alles in Ordnung? Alles gut, alles gut, hat der Papa geantwortet.

Mittlerweile brummen die übrigen 690 DUKE-Battle-Piloten um den Kurs. Jill folgt unserem Gespräch seit geraumer Zeit nicht mehr, sie schaut nach draußen. Dann beugt sie sich hinunter zu Jeremy: „Hey, schau mal, der Regen hat nachgelassen.“ Eine Rennfahrerfrau, die nicht zur Vorsicht mahnt, stattdessen ihren Mann in den Regen hinaus scheucht – das gibt’s nur bei den McWilliams. Jeremy steht auf, geht rüber zum Truck, schlüpft in sein Leder und schafft noch drei Runden im Nassen.

Im Rennen am nächsten Tag fährt er auf Platz 2, hinter Sieger Arie Vos, dem mehrfachen niederländischen Superbike-Champion. McWilliams kommt von der Siegerehrung rübergestapft, er drückt Jill die Champagnerflasche in die Hand. „Ich bin nicht volles Risiko gegangen“, sagt er. Denn schon am Mittwoch, in drei Tagen also, habe er einen Test in Oulton Park. Eine Superstock 1000-Maschine müsse er ausprobieren, für ein britisches Team. So ist er halt, der Jeremy McWilliams: Er kann´s einfach nicht lassen.

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