Nur eine Woche nach seinem 24. Geburtstag krönt Jeffrey Herlings eine MXGP-Saison, die er nach Belieben kontrollieren konnte. Wir haben den schnellsten Motocross-Fahrer der Welt um ein paar exklusive Worte gebeten.
Die Zahl 2018 ist nur eine unter vielen für Jeffrey Herlings, den neuen Weltmeister aus dem Red Bull KTM-Team (es ist erst seine zweite Saison in der Königsklasse der FIM-Motocross-Weltmeisterschaft). Letztes Wochenende sicherte sich Herlings seinen Titel in Assen auf der KTM 450 SX-F und setzte damit einer Saison voller Erfolge die Krone auf: Ein Trainingsunfall, der eine Operation an seinem Schlüsselbein erforderte und ihn dazu zwang, den Lauf in Italien im Juni auszulassen, konnte seinen Siegeszug nicht stoppen.
Wir sprachen mit Herlings über den Willen, die Besten der Welt (darunter seinen Teamkollegen und neunfachen Weltmeister Tony Cairoli, der hinter ihm schlussendlich WM-Zweiter werden sollte) zu bezwingen, und die Arbeit, die hinter dieser Rekord-Saison steckt.
Jeffrey Herlings (NED) Assen (NED) 2018 © Ray Archer
Dein Sieg in Argentinien, bei dem du Tony in der letzten Runde überholt hast, schien für die gesamte Saison tonangebend gewesen zu sein. Hattest du damals das Gefühl, ein wichtiges Statement gesetzt zu haben? „Ich kam mit hohen Erwartungen nach Argentinien, wusste aber gleichzeitig nicht, was mich erwarten würde. Am Samstag war ich richtig nervös. Ich glaube, dass ich im Zeittraining die beste Zeit hingelegt hatte, dann überholte mich Tony aber in der dritten oder vierten Runde des Qualifyings und ich wollte zurückschlagen, ging dabei aber zu Boden. Ich wurde Siebter oder Achter und fuhr nicht wirklich gut. Am Sonntag startete ich zweimal schlecht und hatte anfangs kein gutes Gefühl; im zweiten Rennen aber fing ich an, Fahrer wie Desalle und Van Horebeek zu überholen, und sieben oder acht Minuten vor Schluss war nur noch Tony vor mir – allerdings hatte er einen beachtlichen Vorsprung. Beim ersten Lauf so viel Zeit auf den amtierenden Weltmeister gutzumachen, war schon etwas Besonderes. Ihm dann auf der letzten Runde die Führung abzuluchsen, das war ein klares Statement. Ich wollte schon deutlich machen, dass ich um den Titel fahren würde.“
War das der perfekte Start in die Saison? Welchen Effekt hatte das auf dein Selbstvertrauen? „Mein Selbstvertrauen wurde dadurch ungemein gestärkt. Jedes Jahr kommst du aus der Winterpause und weißt nicht genau, was passieren wird. Einige Fahrer nehmen an der italienischen Meisterschaft teil und manche fahren andere internationale Rennen. Trotzdem kommt alles erst beim ersten Grand Prix zusammen, wenn alle Top-Jungs an einem Platz versammelt sind. Ich glaube, dass eigentlich jeder beim ersten Rennen irgendeine Art von Statement setzen will. Ich kam von Argentinien zurück und dachte, „so weit, so gut …“, aber auch, „noch neunzehn Läufe: du muss fit und gesund bleiben“. Selbstverständlich wuchs mein Selbstvertrauen mit jedem Sieg während der Saison weiter an. Was wir dieses Jahr erreicht haben, war einfach fantastisch, und so viele Rennen und GPs zu gewinnen, obwohl ich eine Runde auslassen musste: Ich glaube, dass das nicht viele Leute vor mir erreicht haben.“
Du hast im Laufe der Saison bis auf 17 Punkte alle möglichen eingeheimst, was einfach unfassbar ist … „Ja, ich hatte ein paar zweite und einen dritten Platz, aber 36 Rennen zu bestreiten und davon 31 zu gewinnen, ist schon ziemlich cool.“
Jeffrey Herlings (NED) & Tony Cairoli (ITA) KTM 450 SX-F Neuquen (ARG) 2018 © Ray Archer
Was ist dein Geheimnis? Wie hast du es geschafft, den neunfachen Weltmeister und Meister der Konstanz Tony Cairoli zu besiegen? „Anfang 2017 nahm ich die MXGP-Klasse nicht so ernst und gab ihr vielleicht nicht die nötige Aufmerksamkeit. Auf jeden Fall war ich nicht zu 100% fokussiert, ging immer noch mit meinen Freunden aus und machte Sachen, die man halt in meinem Alter so macht! Ich fand schnell heraus, dass man 110% geben und sich zehn Monate lang von früh bis spät voll dem Sport verschreiben muss, um in der MXGP erfolgreich zu sein. Und genau das habe ich dieses Jahr getan. Der Schlüssel zum Sieg war, sicherzustellen, dass jedes Detail perfekt funktionierte. Ich gab auf alles und jeden Acht: auf meine Ernährung, das Training, das Reisen, die Ruhephasen, das Testen. Alles musste genau aufeinander abgestimmt sein und alle Leute um mich herum mussten perfekt zusammenarbeiten. All das war nötig, um einen großen Champion wie Tony zu besiegen. Wir sind 18 Mal gegeneinander gefahren und ich habe ihn 17 Mal geschlagen: Das ist sicher keine Frage des Glücks mehr.“
Du hast gesagt, dass du wie ein „Mönch“ gelebt hast, um die gewünschten Ergebnisse zu erzielen. Eine starke Aussage; das muss dich aber einiges gekostet haben … „Wenn der Sieg davon abhängt, dann muss ich es eben tun. Daran arbeite ich schon seit Anfang des letzten Winters. Vielleicht hätte ich gar nicht so viel investieren müssen, um zu gewinnen – vielleicht hätte etwas mehr Engagement als 2017 gereicht –, aber ich wollte ganz sichergehen, dass ich mein Maximum gegeben habe, um zu gewinnen. Lieber mache ich das ein paar Jahre lang und versuche, so viele Pokale, Rennsiege und GP-Titel einzufahren, als 15 Jahre lang gemütlich mitzuschwimmen und vielleicht gar keine Siege zu feiern. Ich ziehe es vor, eine kürzere Zeit lang absolut alles zu geben.“
Du hast die Saison vollkommen dominiert – es muss dir wie ein Traum vorgekommen sein. Wie kannst du nächstes Jahr noch einen draufsetzen und woher wirst du die Motivation nehmen, so ein Jahr zu wiederholen? „Als Kind wollte ich immer die Weltmeisterschaft in der Königsklasse holen. Der Titel in der MX2 ist eine Sache … aber nichts im Vergleich zur MXGP und dazu, wie viel ich dafür aufwenden musste. In der MX2 hatte ich besonders in den letzten Jahren das Gefühl, dass die Leute dachten: „Ok, Herlings ist hier. Das heißt, dass er entweder gewinnt oder im Spital landet“. Dieses Mal musste ich mich gegen die großen Jungs behaupten, Leute wie Tony, [Tim] Gajser, [Romain] Febvre und all die anderen Titelgewinner. Ich wollte Tony unbedingt schlagen, wenn er in Topform ist; er war dieses Jahr denke ich nicht in absoluter Topform, aber sehr nah dran. Ich habe mir seine Rennen von vor ein paar Jahren angeschaut und bin nun gegen ihn gefahren und ich denke, dass er heute besser fährt denn je und ihn jetzt zu besiegen? Das ist ziemlich cool. Ich habe ihn einige Jahre lang studiert und beobachtet und dabei immer gedacht, dass ich diesen Typ irgendwann einmal schlagen möchte. Nun gegen ihn die WM zu gewinnen, ist natürlich etwas ganz Besonderes.“
Jeffrey Herlings (NED) KTM 450 SX-F Sevlievo (BUL) 2018 © Ray Archer
Ein negativer Aspekt ist, dass du es so einfach aussehen lässt, fast wie während deiner MX2-Karriere. Du sagst immer wieder, wie hoch das Niveau sei, es muss aber schwierig sein, die Leute davon zu überzeugen … „Ja, das ist schwierig. Die Leute vergleichen die MXGP immer mit der MX2, aber wenn du jetzt zurückblickst, dann war die MX2 eher was für ‚Kinder‘, während du in der MXGP gegen die großen Jungs fährst. Einen Weltmeistertitel in der MX2 zu gewinnen ist nicht einfach – das kannst du mir glauben – denn dort gibt es einige unglaublich gute Fahrer. Das Level in der MX2 ist vielleicht nicht mehr da gleiche wie noch vor ein paar Jahren, aber das sieht jeder anders und aus einer anderen Perspektive. Ich glaube, dass die MXGP-Klasse eine der härtesten ist, die es jemals gab; hier fahren mehrfache Weltmeister und viele GP-Sieger. Es gibt sogar noch einige Top-Fahrer, die noch keinen Vertrag für 2019 haben. Es handelt sich um eine extrem harte Klasse, was der Grund dafür ist, dass du dort wirklich alles geben musst. Manche Leute würden mir beipflichten und andere würden das anders sehen, die meisten in diesem Sport und dieser Branche würden aber wahrscheinlich meiner Meinung sein.“
Das sind mit Sicherheit besondere Emotionen an einem Tag wie diesem in Assen … „Als ich heute Morgen aufgewacht bin, habe ich gespürt, dass heute DER Tag ist; so viele Flashbacks der vergangenen Monate und der Routine: das Bike, das Training im Gym … all die zehn Monate der harten Arbeit und des Engagements gipfeln in diesen Tag. Die Wahrscheinlichkeit war groß, dass ich den Titel in Assen holen würde und heute Morgen hatten meine Mutter und ich Tränen in den Augen. Es war definitiv emotional und als es in die letzte Runde ging, da wusste ich, dass ich Weltmeister bin, denn ich hatte bis Platz 7 oder 8 überrundet. In diesem Moment ging mir alles, was ich in diesem Jahr und in der Vergangenheit in diesen Erfolg investiert habe durch den Kopf. Damals, im Jahr 2004, war ich ein großer Fan von Tony und als er in Lierop gewann dachte ich ´Eines Tages möchte ich so wie diese Jungs sein´ und hier stehen wir nun … 14 Jahre später fahre ich gegen die besten der Welt und habe die höchste Meisterschaft gewonnen, die ich wahrscheinlich gewinnen kann.“
Jeffrey Herlings (NED) KTM 450 SX-F Assen (NED) 2018 © Ray Archer
Du hast immer wieder die starke Leistung deines Teams betont und gesagt, dass die KTM 450 SX-F beinahe perfekt funktioniert hat. Kann man bei so einem unschlagbaren Paket überhaupt noch etwas verbessern? „Na ja, wir bekommen bald ein paar neue Teile und die Konkurrenz schläft natürlich auch nicht. Ich glaube, dass sie richtig hart daran arbeiten, KTM vom Thron zu stoßen. Dieses Jahr wird das Team wieder sowohl die MXGP als auch die MX2 gewinnen und die Marke hat auch den Supercross-Titel und die 250 West-Serie für sich entscheiden können. Ich glaube, dass sich die anderen Hersteller anstrengen werden, uns zu schlagen. Wir dürfen uns daher nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen. Wenn wir mit der Entwicklungsarbeit aufhören, wären wir bald nicht mehr die Nummer 1. Wir werden ein paar Verbesserungen am Motor und am Fahrwerk testen, um nicht stehen zu bleiben und zu versuchen, besser zu werden. Bis jetzt hat das Paket richtig gut funktioniert … wenn du dir aber die Bikes von vor 10 Jahren ansiehst, wirst du feststellen, dass sie zwar großartig waren, aber im Gegensatz zum heutigen Material ziemlich alt aussehen! Unser 2018er Bike ist jetzt umwerfend, aber in 10 Jahren wird auch das nicht mehr gut genug sein. Die Entwicklung hört niemals auf.“
Womit wirst du dich in den nächsten Wochen belohnen und hast du irgendwelche anderen Ziele? „Nach dem Motocross of Nations werde ich ungefähr 6 Wochen nicht fahren: Ich habe um eine Auszeit gebeten! Natürlich muss ich währenddessen ein paar (Promo-) Pflichten nachkommen, aber das gehört zu meinem Job und als Teil des Marketings mach ich sie gerne. Dennoch möchte ich gerne ein paar Wochen Auszeit nehmen, das Bike nicht fahren, um endlich ein bisschen Zeit für Freunde und Urlaub zu haben. Es geht mehr um die kleinen Dinge, auf die ich während der Saison verzichten muss. Wenn ich zum Beispiel mit Freunden weggehe und sie Fast Food bestellen und ich Salat essen muss: Vergiss es! Ich möchte es ein wenig genießen, wie ein normaler 24-Jähriger zu leben. Wir Fahrer bringen viele Opfer und wenn es zum Training beiträgt und letztendlich zum Sieg führt, dann gehört es dazu. KTM hat dafür Verständnis und unterstützt mich; sie haben gesehen, wie hart ich gearbeitet habe und verstehen, dass ich ein paar Wochen Abstand brauche. Außerdem glaube ich, dass das sogar notwendig ist: Ich muss meine Batterien aufladen, wenn ich meinen Titel nächstes Jahr verteidigen möchte. Abseits des Bikes habe ich eigentlich keine besonderen Pläne. Ich möchte einfach die Normalität, auf die ich das ganze Jahr über verzichten muss! Mitte November fangen wir dann an, uns auf die nächste Saison vorzubereiten.“
Fotos: Ray Archer Video: DG Productions
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