Es scheint so einfach: Jeden Tag drehst du am Gas und am Ende des Monats überweist dir jemand Geld auf dein Konto. Was für ein schönes Leben.
Natürlich – und hier tritt unser Zynismus auf den Plan – steckt viel mehr hinter dem Job eines KTM-F&E-Testfahrers, wo Veränderungen an der Tagesordnung sind und das Produktportfolio unaufhaltsam wächst. Bei unserem letzten Besuch in Mattighofen verbrachten wir ein bisschen Zeit mit einem dieser vermeintlich ‘glücklichen Menschen’, um herauszufinden, ob der Job eines professionellen Testfahrers (und ohne den Druck die karierte Flagge erreichen zu müssen) wirklich ein Traumjob ist.
Der 31-jährige Hannes Maier ist ehemaliger Produkttechniker, WP Suspension-Mitarbeiter und Supermoto-Fahrer auf Weltmeisterschaftsniveau und seit mittlerweile fünf Jahren F&E-Testfahrer bei KTM.
Hannes Maier (AUT)
Hannes, testest du nur bestimmte oder viele verschiedene Modelle? „Die Arbeit in der F&E ist ziemlich anspruchsvoll, aber auch abwechslungsreich und ich kann so ziemlich alle Modelle fahren. Eigentlich komme ich mehr aus dem Offroad-Bereich, bin in letzter Zeit aber ziemlich viele Street-Modelle gefahren. Mein Einsatzbereich erstreckt sich von großen Enduro-Bikes über SUPER DUKEs bis hin zu Tests auf der Rennstrecke. Ich bin ein Allrounder.“
Wie sieht ein typischer Tag eines Testfahrers aus? „Schwer zu sagen, die Tage sind ganz verschieden! Es hängt stark davon ab, was wir gerade testen. Meistens beginnen wir am Morgen mit einem Briefing mit den Ingenieuren, in dem wir uns ein Ziel setzen, das wir bis zum Ende des Tages oder bis zum Ende der Woche erreichen wollen. Normalerweise haben wir ein Bike, das uns als Referenz oder Bezugsgröße dient. Während ich teste und mein Feedback sammele, darf ich nie den Fokus verlieren, damit wir nicht in die falsche Richtung arbeiten. Das Feedback muss gut sein und wenn ich am Ende des Tages doch mal den Fokus verliere, dann kann ich mich am Referenz-Bike orientieren, um in die Spur zurückzufinden. Reisen ist Teil des Jobs und manchmal bin ich von montags bis freitags unterwegs. Wir müssen sehr flexibel sein, denn unsere Zeit- und Terminpläne können sich jederzeit ändern. In der F&E haben wir viele verschiedene Projektlevel und manchmal müssen wir auf Teile warten, dann geht alles wieder ganz schnell und wir haben drei Tests in einer Woche. Oft weiß ich nicht, wo ich von einer auf die andere Woche sein werde.“
Was würdest du sagen, sind die wichtigsten Fähigkeiten eines guten und vielseitigen Testfahrers? „Es hilft, wenn man schnell ein Gefühl für das Bike entwickeln kann. Den Ingenieuren hilft es nicht, ein Motorrad zu entwickeln, wenn der Testfahrer nur schnell und über lange Zeit am Limit fahren kann. Ich bin lange Zeit Supermoto auf Weltmeisterschaftsniveau gefahren, aber es schadet auch nicht, ein gewisses technisches Wissen zu haben, denn das hilft den Ingenieuren ungemein. Es ist wichtig, über Fachwissen zu verfügen, denn wenn man am semiaktiven Fahrwerk arbeitet und der Techniker möchte etwas über die Hardware und nicht über das Fahrgefühl wissen, ist es wichtig, konkrete Angaben zum Rebound bei hohen und niedrigen Geschwindigkeiten machen zu können, denn auf dieser Basis stimmen sie das Setting ab. Fahrpraxis und Fahrtalent ist ebenfalls wichtig, um möglichst sicher unterwegs zu sein. Ich fahre meist so um die 90%.“
Arbeitest du für einen festgelegten Zeitraum an einem Projekt oder kann das stark variieren? „Das variiert. Wenn die Projektleiter einen Testfahrer brauchen, dann entwickeln wir daraufhin Pläne. In der einen Woche teste ich die Traktionskontrolle der KTM 1290 SUPER DUKE R und die Woche darauf die Federung der Enduros. Es ist immer anders und immer eine Herausforderung; die ganze Zeit musst du dir Notizen machen und Testberichte schreiben.“
Hat der Job auch eine langweilige Seite? „Manchmal sind die Testtage extrem lang und nicht jeder Test macht Spaß. Wenn du zum Beispiel nur Daten sammeln musst und dafür zehnmal über die gleiche Bodenwelle fährst, ist das ziemlich langweilig. Außerdem fahren wir nicht nur bei sonnigem Wetter! Auch bei fünf Grad und Regen sind wir unterwegs. Daten bei Belastungstests zu sammeln, kann komisch sein, wenn man mit einem Sozius und voll beladen unterwegs ist und im Wheelie über eine Bodenwelle fährt. Die Fahrmodi der Traktionskontrolle brauchen bestimmte Bedingungen und wenn es kalt ist, dann musst du extrem wachsam und aufmerksam sein, was auf Dauer ziemlich anstrengend ist. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Tests, die richtig viel Spaß machen: In Kürze testen wir mit der KTM 1290 SUPER DUKE R in Mugello!“
Was testet ihr auf einer Rennstrecke wie Mugello? „Typische Dinge wie Federung oder Geometrie, Steifigkeit des Rahmens oder der Schwinge, Stabilität …“
Arbeitest du nur mit Bikes einer bestimmten Prototypenphase? „Ich habe schon Prototypen getestet, die gerade erst zusammengeschraubt wurden, und der Projektleiter mich bat, ein paar Runden in der Umgebung zu drehen, um Feedback zu sammeln. Aber auch andere, die schon in der letzten Phase vor der Serienproduktion waren. Also eigentlich bin ich so gut wie alles gefahren. Die Ingenieure machen einen großen Teil der Testarbeit selbst und übergeben uns ihre Entwicklungen, wenn sie bereits auf einem guten Niveau sind.“
Was macht mehr Spaß: Etwas wie die erste Version der KTM 790 DUKE oder die kurz vor dem Übergang in die Serienproduktion stehende KTM 1290 SUPER DUKE R zu testen? „Das ist schwer zu sagen. Ich versuche immer, das bestmögliche Feedback zu geben, unabhängig davon, welches Modell ich gerade fahre. P1 [Prototyp1] oder 0 ist natürlich interessant, denn als Testfahrer kann man hier noch ziemlich viel Einfluss nehmen.“
Gab es jemals etwas, das du zurückgeben und sagen musstest ‘Sorry Jungs, das funktioniert nicht …’? „Ja, das passiert und häufiger, als viele jetzt wahrscheinlich denken! Es ist normal, dass ein P0- oder P1-Motorrad nicht so gut funktioniert; genau aus dem Grund sind wir ja hier. Wir arbeiten hart daran, Dinge zu verändern und der nächste Test fühlt sich dann normalweise schon viel besser an. Die Jungs hier arbeiten ziemlich schnell.“
Wie sieht das Testteam aus? „Meistens umfasst das Team 3 bis 4 Leute: ein oder zwei Ingenieure, einen Projektleiter und einen Testfahrer. Manchmal sind es auch mehr. In der F&E arbeiten zwanzig Leute in der Werkstatt und drei Vollzeit-Testfahrer. Das Team wird größer und größer und es kommen einige Leute zusammen. Wenn wir auf einer Rennstrecke testen, kommt meist noch Jeremy McWilliams dazu. Es gibt ein separates Team für Dauerlauftests, das ist ziemlich groß, gehört aber auch zu einer anderen Abteilung.“
Bekommst du auch ein Gefühl für das gesamte Bike? Ich kann mir vorstellen, dass es schwierig ist, wenn du immer nur an Einzelteilen arbeitest … „Ja, das ist schwierig, denn das Gefühl für ein Bike verändert sich. Bei einem Test ist es großartig und beim nächsten Test ist es komplett anders, dann musst du langsamer vorgehen und die Arbeit dauert länger.“
Wie reagieren die Leute, wenn du ihnen von deinem Job erzählst? „So, wie man es erwartet: ‘Wow, das muss ein Traumjob sein!’, aber dann erzähle ich ihnen, dass das ständige Reisen auch bedeutet, dass du viel Zeit ohne deine Familie verbringst und dass es auch negative Momente gibt, wie vor Kurzem, als ein Kollege einen ziemlich schlimmen Sturz hatte. Wenn du miterlebst, wie sich ein Kollege verletzt, dann berührt dich das natürlich. Dieser Job hat zwei Seiten: An tolle Orte zu reisen und Motorräder zu fahren, die noch niemand zuvor gefahren ist, aber auch zu wissen, dass es ein gefährlicher Job ist und das Risiko sich zu verletzen, immer mitfährt. Ich glaube nicht, dass viele dazu geeignet sind. Ich versuche immer, wachsam zu sein, insbesondere auf öffentlichen Straßen.“
Hast du den Anblick eines Motorrads irgendwann mal satt? „Ha! Nein, ich mag ihn immer noch … das Schwierige ist, immer wieder den gleichen Respekt für alle Bikes aufzubringen. Wenn du eine KTM 125 DUKE testest, dann solltest du den Test genauso angehen, als wäre es eine KTM 1290 SUPER DUKE R, denn es kann gefährlich sein, den Fokus zu verlieren. Physisch sollte man fit sein; das ist der beste Weg, um Verletzungen zu verhindern. Der Job macht mir Spaß und ich glaube, ich habe noch ein paar Jahre vor mir! Sich körperlich fit zu halten, hilft auch mental, daher fahre ich unter anderem häufig mit dem Mountainbike oder mit dem Jetski®.“
Musst du häufig deinen Fahrstil ändern, wenn du jedes Bike unter anderen Voraussetzungen fahren musst? „Ja … und eigentlich ist es mir lieber, wenn ich das Bike pushen kann, aber man muss immer das Produkt und die Wünsche der Kunden im Hinterkopf behalten. Eine gewisse Orientierung bekommen wir von den Produktteams und dem PR-Team – zum Beispiel soll bei der ADVENTURE der Fokus auf Komfort liegen, dementsprechend muss ich meinen Fahrstil anpassen.“
Ein Teil des Jobs ist es mit Sicherheit auch, das Limit des Bikes zu finden … „Ja, auf einer Rennstrecke oder einem Motocross-Track gehe ich über das Limit – das muss ich. Und dazu gehören auch ein paar waghalsige Aktionen wie mit einer ADVENTURE zu springen oder mit verrückt hohen Geschwindigkeiten zu fahren. Du lernst viel über ein Bike, wenn du über das Limit gehst. Wenn ich etwas mache, denke ich darüber nach, was passieren könnte und ich versuche immer, einen Plan B zu haben und rechtzeitig reagieren zu können. Außerdem versuche ich immer ruhig zu bleiben … auch wenn das das nicht einfach ist. Zwar fahren wir auch die Prototypen mit Elektronik und ABS, aber dennoch muss man sich als Testfahrer bewusst sein, wie das Bike reagieren könnte und sich langsam an das Limit herantasten – Schritt für Schritt. Natürlich können wir nicht alles kontrollieren, aber wir müssen uns im Klaren sein, was wir kontrollieren können! Ich glaube nicht, dass ich mit 40 noch als Testfahrer arbeiten werde; es ist zu gefährlich! Vermutlich habe ich aber ganz gute Chancen, bei KTM auch etwas anderes machen zu können.“
Wenn ich 21 Jahre alt und neu bei KTM bin und als Testfahrer arbeiten möchte, was ist dann der beste Weg? „Im Grunde kann diesen Job jeder machen … aber es hilft, wenn man ein semi-professioneller (Renn-) Fahrer war und man über ein breites Spektrum an Fähigkeiten in technischer und fahrerischer Hinsicht verfügt. Ein fahrerischer Hintergrund ist eine große Hilfe. Es ist keine zwingende Voraussetzung, aber es macht es einfacher, wenn man versteht, was passiert, wenn man zum Beispiel den Winkel der Gabel ändert …“
Ist vieles von dem, was du tust, geheim? „Ja … viele Tests sind geheim, daher versuchen wir uns von Fotografen fernzuhalten. Die meisten Entwicklungsphasen bis zum P2 laufen im Geheimen ab. Um das zu gewährleisten, ist das Bike schwarz oder wir montieren andere Kunststoffteile. Die P0-Motorräder sehen manchmal ziemlich hässlich aus! Ein guter Fotograf weiß, was neu ist, von daher kann es schwierig sein, alles entsprechend mit Kunststoffteilen abzudecken. Normalerweise versuchen wir auf Straßen unterwegs zu sein, wo sich nicht so viele Autos und Menschen tummeln.“
Gibt es einen Ort, an dem du besonders gerne testest? „Sardinien gefällt mir ziemlich gut; sehr schöne Straßen, guter Grip, nur wenig Verkehr und tolle Ausblicke am Morgen. Dort gibt es außerdem einige nette Motocross-Strecken.“
Zu guter Letzt: Was ist es für ein Gefühl, mitzuerleben, wie ein neues Bike auf einer Messe wie der EICMA enthüllt wird oder zum Beispiel Ryan Dungey zu sehen, wie er in der Supercross-WM gewinnt und zu wissen, dass du einen Anteil daran hast? „Dieses Gefühl ist schon irgendwie da, aber an einem Bike haben gefühlt tausend Leute mitgearbeitet. Jeder Ingenieur ist stolz auf seinen Teil und das gleiche gilt für mich. Es ist großartig, Feedback von den Leuten zu bekommen, die die Bikes kaufen und fahren – für mich ist das noch besser als die Präsentation auf der EICMA, wo das Bike neu ist und toll aussieht, aber noch niemand damit gefahren ist.“
Fotos: KTM | Hannes Maier
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