Der frischgebackene zweifache FIM-MX2-Motocross-Weltmeister spricht mit uns über eine herausragende Saison, gute und schlechte Leistungen, Motivation und darüber, wie es sich im Jahr 2020 anfühlt, Teil des besten MXGP-Teams zu werden …
@ Ray Archer/KTM
Ist Jorge Prado einer der besten 250-cm³-Fahrer aller Zeiten? Das achtzehnjährige Wunderkind aus Galizien – das fünf Jahre in Belgien verbracht hat und heute in Italien nicht weit von seinen Mentoren Claudio de Carli und Tony Cairoli wohnt – kann Zahlen vorweisen, die diesen Schluss zulassen. Prado ist ein extrem guter Starter: In der Saison 2019 ging er bei 30 Versuchen 20 Mal als Erster in die erste Kurve. Dazu kommen sein unschlagbarer Speed, eine aggressive Technik und die Power der KTM 250 SX-F. Als Produkt der ‚KTM-Pipeline‘ zeigte Jorge bereits früh sein Talent, indem er es bei seinem ersten Grand Prix in Assen 2016 aufs Podium schaffte.
Weniger als drei Jahre später hält Prado bei zwei FIM-Motocross-Weltmeistertiteln und 29 GP-Siegen. Außerdem trägt er den Titel des weitaus erfolgreichsten spanischen Fahrers in der Geschichte des Sports. Am 5. Januar feierte er seinen 19. Geburtstag und fuhr 2019 wie ein Wirbelwind durch die MX2: Er gewann 14 von 15 Läufen, bei denen er angetreten war, stand bei jedem am Podium und erreichte bei 30 Starts 27 Mal das Ziel. Aufgrund seines zweiten MX2-Titels in Folge muss er 2020 in die MXGP aufsteigen, in der er – zusammen mit Cairoli und Jeffrey Herlings – Teil eines umwerfenden Drei-Mann-Teams sein wird. Zusammen können die drei 15 FIM-Motocross-Weltmeistertitel aufweisen.
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Wir unterhielten uns in der gleißend hellen Red Bull Energy Station am Rande des Grand Prix von Schweden mit Prado. Just bei diesem Rennen sollte er den Sack zumachen und sich zwei Läufe vor Saisonende den Titel sichern. Nach Marvin Musquin (2009-2010) und Herlings (2012-2013) ist er der dritte Fahrer (und gleichzeitig der dritte aus den Reihen des Red Bull KTM Factory Racing-Teams), der in der MX2 zwei Weltmeistertitel hintereinander holen konnte.
Jorge spricht drei Sprachen fließend, hat eine unbekümmerte Persönlichkeit und die angenehme Eigenschaft, stets zu lächeln. Außerdem schafft er es, Kommentare und Überlegungen scherzhaft rüberzubringen und dennoch schnell ernst zu werden. Nach einem Gespräch kann Prado kindlich erscheinen, hat aber trotzdem eine eiserne Selbstdisziplin und kann praktisch augenblicklich auf totale Entschlossenheit schalten.
Die Konkurrenz in der MXGP wird sich nächstes Jahr zweifellos auf ein Bombardement einstellen müssen…
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Du hast 14 von 15 Rennen gewonnen: Fühlt sich das Siegen manchmal einfach an? „Ich habe jeden Lauf gewonnen, bei dem ich angetreten bin, und es ist schon schwierig, jedes Mal konzentriert zu bleiben. Ein kleiner Fehler kann schließlich bedeuten, dass du ein Rennen verlierst. Außerdem ist es hart, eine ganze Meisterschaft lang sturzfrei zu bleiben. Gleichzeitig ist das enorm wichtig – auch für die Zukunft. Konstanz ist alles! Manchmal, wenn ich nach Hause komme oder von einem Rennen heimfahre, sage ich mir selbst, dass ich diese Saison großartige Arbeit leiste. Ehrlich gesagt hatte ich am Anfang des Jahres erwartet, ein paar Rennen zu gewinnen, da ich letztes Jahr den Titel geholt hatte. Jedes Mal zu gewinnen ist aber auf keinen Fall einfach.“
Viele Leute zweifeln vielleicht daran, dass es so schwierig für dich ist. Schließlich sieht es bei dir so einfach aus … „Von außen sieht es vielleicht so aus, ich muss aber jederzeit meinen Rhythmus behalten. Bei den letzten Rennen hatte ich mehr Vorsprung auf den zweitplatzierten Fahrer und ich entwickle mich ständig weiter: Das ist neben dem Gewinn der Meisterschaft ein weiteres Ziel von mir. Ich will immer besser werden. Manchmal greife ich nicht so hart an und versuche, das Risiko zu kontrollieren. Trotzdem will ich jedes Wochenende so gut fahren, wie ich kann. Wenn ich etwas gemächlicher fahren kann, ist das ein Vorteil, da ich auch an die Zukunft denken muss: In der MXGP werde ich es nicht so leicht haben. Ich muss erwachsen und besser werden.“
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Wie schwierig ist es, mit 18 diszipliniert und hungrig zu bleiben? Schließlich bist du extrem erfolgreich, dein Leben ist angenehm und dein Vorsprung riesig … „Ja, darüber muss ich etwas nachdenken. Du kannst die Leute fragen, die mich kennen. Einmal war ich mit meiner Freundin auf Sardinien, um dort den Winter zu verbringen. Eine Woche bevor die Tests beginnen sollten, hatte ich einen Tag mit nur einem geplanten Testlauf vor mir. Ich stand um 7:30 Uhr auf und sie verstand nicht, warum, wenn ich doch den ganzen Tag Zeit hatte. Es ist schon komisch, aber ich bin einfach so. Ich bin sehr organisiert. Ich möchte meine Arbeit hinter mich bringen – danach kann ich dann entspannen. Ich stelle mir immer vor, dass die anderen härter arbeiten und trainieren. Ich versuche, in dem, was ich tue, immer der Beste zu sein. Ich gebe alles … und manchmal sogar etwas zu viel; die Zeit, die ich nach einem Wochenende zum Erholen habe, kann sehr kurz sein. Wenn ich mich während der Woche überanstrenge, muss ich die Konsequenzen am Wochenende tragen, und das ist mir schon passiert. Wenn ich etwas tue, möchte ich jedes Mal besser sein als das letzte Mal. Außerdem weiß ich, dass harte Arbeit zu Siegen führt.“
Hattest du dadurch je mit Motivationsproblemen zu kämpfen? So viele Siege zu holen ist eine Sache – ist keine echte Konkurrenz zu haben ein weiterer Test? „Hmmm. Als Tony sich verletzte, war alles anders. Wir hatten immer gemeinsam trainiert und als er verletzt war, fiel er als Trainingspartner weg. Die ersten paar Tage war ich etwas desorientiert und wusste nicht, was ich tun sollte. Alleine auf der Strecke zu sein fühlte sich merkwürdig an. Daran war ich nicht gewöhnt. Davor hatte ich mein Leben lang alleine trainiert und am Anfang war es schwierig, mit Tony zu fahren. Dennoch fanden wir immer Herausforderungen – einmal versuchte ich, meine Rundenzeiten zu senken, dann meinen Rhythmus zu verbessern. Manchmal stand mein Vater in einer Kurve und rief mir zu, dass ich in einem bestimmten Abschnitt noch langsam war. Das macht er recht oft! Es ist gut, dass er erkennt, wo ich mich verbessern kann. Er macht das richtig gut.“
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Warst du dieses Jahr bei irgendeinem Rennen nicht mit deiner Performance zufrieden? Gab es eines, bei dem du dachtest ‚das war furchtbar, das muss ich besser machen …‘? „Vielleicht das Qualifying in Loket [Grand Prix der Tschechischen Republik]. Ich gewann, aber es fühlte sich nicht gut an. Ich hatte einfach kein gutes Gefühl. Und das erste Rennen in Frankreich. Das verlor ich, weil ich nicht hart genug angriff. Ich wusste, dass Jago [Geerts] hinter mir lag und das war kein Problem. Zwei Runden vor Schluss lag ich in Führung und dachte, dass die Katze im Sack war. Dann machte ich einen kleinen Fehler. Er kam etwas näher und ich griff an, lief aber auf ein paar langsamere Fahrer auf. Da hatte er mich. Vier Runden vor Schluss hätte ich ihm noch zwei oder drei Sekunden abnehmen können, wenn ich es gewollt hätte. Ich tat es nicht und bezahlte den Preis dafür. Das war dumm. Beim zweiten Rennen in Palembang [GP von Indonesien] lief irgendwas falsch, ich weiß nur nicht was. Ich fiel vom ersten auf den siebten Platz zurück. Irgendwas stimmte nicht. Dann aber stellte ich mich darauf ein und arbeitete mich nach vorne. Am Ende war es ein gutes Rennen.“
Welches Rennen würdest du als beinahe perfekt bezeichnen? „Hmmm. In diesem Jahr noch keines, ich habe aber in Assen immer ein ähnliches Gefühl. Dort kann ich aufgrund des Sands einen extrem guten Rhythmus fahren und gute Starts sind für mich immer wichtig; wenn du gut startest, kannst du dir erlauben, etwas zu entspannen und so zu fahren, wie du es möchtest – das gibt Selbstvertrauen. Das zweite Rennen in Lommel [Grand Prix von Belgien] war gut. In diesem Rennen wollte ich einen guten Vorsprung herausfahren und lag fünfunddreißig Sekunden vorne, als ich in der letzten Runde einen kleinen Ausrutscher hatte. Es war hart, aber trotzdem ein gutes Rennen.“
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Gibt es in deinem Regal einen Pokal, bei dessen Anblick du denkst ‚der ist etwas Besonderes. Den habe ich echt verdient …‘? „Dieses Jahr war etwas anders. Bei vielen Rennen gewann ich den Start, lag in Führung und konnte mich auf mich selbst konzentrieren – auf meine Fahrt und darauf, keine Fehler zu machen. Wenn ich auf die letzte Saison mit Pauls [Jonass] zurückblicke, denke ich immer ‚Mann, das war hart‘. Ich verpatzte das erste Rennen in Argentinien und es kostete mich die Hälfte der Saison, die rote Tafel zu holen, und die andere Hälfte, die Meisterschaft zu gewinnen. Drei Läufe vor Schluss lagen wir extrem knapp zusammen. Dieses Jahr holte ich die Meisterschaft locker. Letztes Jahr musste ich wirklich alles geben. Jeder Sieg war hart erkämpft und rückblickend war die Saison von hartem, gutem Rennsport und von vielen Kämpfen geprägt. Dieses Jahr war unglaublich, aber anders. Die anderen Fahrer waren auch schnell, ich hatte ihnen aber immer etwas voraus. Außerdem habe ich dieses Jahr weniger Fehler gemacht. So fühlten sich die Resultate anders an. 2018 ging es um Pauls, Pauls, Pauls: Ich musste ihn einfach schlagen. Es war eine großartige Meisterschaft.“
Reden wir doch über die KTM 450 SX-F. Dein erstes Rennen mit diesem Bike wird das FIM Motocross of Nations sein. Wird das so etwas wie ein Test werden? „Ja, das wird es. Auch darum, weil ich noch nie mit einer 450er gefahren bin. Das will ich unbedingt klarstellen.“
@ Ray Archer/KTM
Nicht einmal zum Spaß? „Ich bin eine halbe Runde auf der Strecke von Malagrotta [Trainingsstätte in Rom] gefahren. Du kannst Tony fragen. Wir hatten im Februar eine Trainingssitzung beendet und ich wollte sehen, ob ich über etwas springen kann. Ich borgte mir sein Bike aus und kann mich kaum daran erinnern, wie es sich angefühlt hat, weil das Setup für mich komplett anders war und ich deshalb langsam fahren musste. Ich hoffe, dass ich bald mit der 450er zu trainieren beginnen kann, denn das Nations ist nicht mehr weit.“
2020 könnte schwierig werden, da du nicht nur ein Rookie, sondern auch Teil des besten Grand-Prix-Teams aller Zeiten sein wirst. Vielleicht wird dein Einstieg aber auch etwas mehr Druck auf Jeffrey und Tony machen … „Druck gibt es immer. Jeder will dich gewinnen sehen. Siege sind aber nicht mein Hauptziel für nächstes Jahr. Stattdessen will ich versuchen, besser zu werden und eine gute Saison hinzulegen. Ich kann dir nicht sagen, wie es mir 2020 gehen wird, bis ich mich an das Bike gewöhnt habe und zum ersten Mal gegen die anderen MXGP-Fahrer antrete. Nächstes Jahr ist mein ‚Rookie-Jahr‘. Ein Abenteuer. Ich muss weiter lernen und werde versuchen, einfach Spaß zu haben. Ich habe die besten Leuten hinter mir und Red Bull KTM Factory Racing hat mich immer fantastisch unterstützt. Ich fahre jetzt seit vier Jahren für dieses Team und könnte nicht zufriedener sein. Ich muss mich nur ums Fahren kümmern und darum, Spaß zu haben.“
@ Ray Archer/KTM
Wenn du dem zwölfjährigen Jorge Prado begegnen würdest und ihm sagen würdest, dass er in sechs Jahren zwei Weltmeistertitel und dreizehn GPs in Folge gewinnen würde, was würde er sagen? „Als Kind hatte ich nie den Wunsch, irgendwann einmal Weltmeister zu sein. Dennoch war ich immer ehrgeizig. Ich sah anderen, älteren Fahrern zu und dachte ‚was die können, kann ich auch…‘. Zwischen dem Gedanken und der Ausführung liegen aber Welten. Ich habe schon immer positiv gedacht und daran geglaubt, dass ich eines Tages ganz oben stehen würde. Trotzdem wäre mein jüngeres Ich aber sehr erstaunt. Wir haben als Familie immer alles darangesetzt, es dahin zu schaffen, wo wir jetzt sind. Und als Zwölfjähriger habe ich immer nach vorne geblickt und bei jeder Fahrt versucht, besser zu werden. Ich habe damals oft den schnellsten Fahrern zugesehen und versucht, mir alles Positive und alle Tricks abzuschauen, um sie auch in meine Technik einzubauen. Ich habe viel kopiert, aber das half mir dabei, meinen Stil zu entwickeln. Dabei habe ich nicht nur an der Strecke zugesehen, sondern auch im Fernsehen und über Videos. Wenn ich meiner jüngeren Version sagen würde, dass sie einmal all diese Siege erringen, aber trotzdem jede Sekunde auf dem Bike genießen würde, wäre das genial. Ich glaube, dass es kaum jemanden gibt, der das Fahren so liebt wie ich. Das ist wohl meine beste Eigenschaft: Ich liebe das Fahren. Ich bin süchtig danach.“
Fotos: Ray Archer/KTM
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