Regelmäßig verneigen wir uns vor den ganz großen Persönlichkeiten, Helden und Legenden des Rennsports. Bereits vor über 15 Jahren endete das Leben eines der erfolgreichsten Straßenrennfahrer aller Zeiten. Mit Joey Dunlop ging vor allem ein großartiger Mensch, der auch heute noch ein unvergessenes Vorbild ist.
In der September-Ausgabe des Millennium-Jahres des Magazin „MO“ erschien ein bewegender Nachruf auf die irische Legende, dem der KTM BLOG auch heute nichts mehr hinzuzufügen hat.
Er war der erfolgreichste Straßenrennfahrer aller Zeiten. Und er wird es bleiben. Für immer.
Echte Helden kommen mit wenigen Worten aus. Echte Helden handeln. Sie tragen Kinder aus brennenden Häusern, sie denken nicht an Aktienkurse, sie kaspern nicht mit gefärbten Bärtchen vor laufenden Kameras herum, und sie sterben nicht vollgefressen in einem Luxusbordell an Herzversagen. Joey Dunlop war ein Held. Er war Straßenrennfahrer, vielleicht der letzte und größte seiner Zunft. Sicherheiten interessierten ihn am Rande, schon eher schätzte er die Courage. Er spielte nicht mit dem Risiko, aber das Risiko war Teil seines Spiels. Er konnte dem ganzen Marketing-gerechten Gefasel vom ernsthaften Motorsport mit seinen werbewirksamen Protagonisten nicht viel abgewinnen.
Joey Dunlop mochte Siege, und er hatte ein Faible für Motorräder der Marke Honda. Seit 1981 fuhr er das Fabrikat, 1983 gewann er erstmals die TT-Formula 1-Weltmeisterschaft auf der RS 920. Im letzten, entscheidenden Lauf vor dem Ulster-GP trennten ihn nur zwei Punkte vom ärgsten Widersacher, Rob McElnea. Der Sieger von Ulster würde also zugleich auch Weltmeister sein. Wie es sich für Irland gehört, regnete es am Renntag. Es schüttete. Dunlop übernahm auf seinem Heimatkurs von der ersten Kurve an die Führung und brodelte mit gestoppten 272 km/h die Zielgerade hinunter. Unter diesen Bedingungen war Joey Dunlop unschlagbar. Die Legende vom König der Straßenrennen war schon damals geboren. Insgesamt sicherte er sich fünf Mal die Formula 1-Weltmeisterschaft – quasi die Vorläuferschaft der Superbikes. Das schweißt zusammen. In seiner Garage standen auch heuer drei Maschinen mit dem Flügel-Emblem am Tank. Mit diesen drei Maschinen brach er auch zu seinem letzten Rennen nach Tallinn im fernen Estland auf.
Mit 17 Jahren fuhr er sein erstes Rennen. Auf einer Triumph Tiger Cub. Sein erstes Straßenmotorrad war eine 250er BSA. Am Anfang der Rennerei war Geld knapp. Erst John Rea, ein Transportunternehmer und früher Sponsor Dunlops, brachte den Mann aus Ballymoney auf die Isle of Man. Das war 1975. Ein Fischerboot setzte ihn und zwei Zweitakt-Yamahas über. Seine erste Ansicht von der Insel genoss er von der Ladefläche eines Lieferwagens aus. „Ich hielt hinten drauf die beiden Motorräder fest“, erinnerte er sich einmal, „der Lieferwagen hatte keine Heckklappe mehr, aber sehen konnte ich trotzdem nicht viel. Am Montagmorgen war Eröffnungs-Training, und ich hatte keinen Dunst, wo die Strecke langgeht. In der ersten Runde kam ich zur Ballacrain-Kreuzung und hielt an, um auf einen Fahrer zu warten, an den ich mich anhängen konnte. Wenn der dann aus dem Blickfeld entschwand, ging ich wieder vom Gas und wartete auf den nächsten, bis auch der wieder in der Ferne verschwunden war. Inzwischen fahre ich die Strecke vor dem Training mit dem Auto ab, um nachzusehen, ob sich am Belag oder der Kurvenführung irgendetwas getan hat.“
Joey Dunlop schätzte den Isle of Man-Kurs. In diesem Jahr feierte er sein 25-jähriges Rennjubiläum auf der Insel. Ob er den ultraschnellen, rund 60 Kilometer langen TT-Kurs wirklich liebte, ist fraglich. Auf jeden Fall passte der Highspeed-Tanz zwischen Kanaldeckeln, Häusern und scharfkantigen Natursteinmauern zu seiner Art, Rennen zu fahren. Sein Sport war die Auseinandersetzung mit den Geheimnissen der Strecke, weniger das harte Ausbremsmanöver am Kurveneingang. Anspruchsvolle Straßenkurse waren für ihn gemacht. Er gehörte zu jenen Fahrern, die es verstanden, unter jeglichen Umständen mit mindestens 90 Prozent der Möglichkeiten unterwegs zu sein. Eine Art des rennmäßigen Tourenfahrens. Unspektakulär, aber wenn man so wie er in der Lage ist, die Konzentration auf lange Zeit zu halten, dann kommen herausragende Rundenzeiten zustande. Immerhin dauert ein Formula 1-Rennen auf der TT rund zwei Stunden. Manchen Nachwuchsfahrer brachte Dunlops fahrerische Lockerheit und Ruhe zur schieren Verzweiflung. Er gehörte zu jener Spezies, die es beherrscht, in einer 200 km/h-Kurve den sprichwörtlichen Bierdeckel zu treffen. Und zwar nicht nur einmal, sondern in jeder Runde. Er fuhr nicht draufgängerisch, er fuhr zermürbend. Er schluckte die Kurvenabfolgen wie ein Uhrwerk. Die, die mit ihm fuhren, kennen die Präzision, die seinen Fahrstil auszeichnete. Dort, wo anderen nach der vierten Kurve die Muffe ging, blieb er eisern wie von einer höheren Gewalt geführt auf Kurs. Offen bekannte er einmal: „Auf jedem Grand Prix-Kurs werden mich die arrivierten Stars schlagen. Aber auf jedem vertrackten Straßenkurs bin ich vorne.“
Im bürgerlichen Leben war Joey Dunlop Schankwirt in seinem Geburtsort Ballymoney. Rein berufsbedingt trank er reichlich und rauchte viel. Unvermeidlich erschien unter diesen Umständen sein Hobby: das Dartspiel. In den letzten Jahren mühte sich der fünffache Familienvater zwar, sein Kneipierimage durch Enthaltsamkeit ein wenig sportlich seriöser zu gestalten, für die Fans und Bewunderer blieb er dennoch das leibhaftige Phänomen des irrsinnig schnellen Säufers. Für einen Iren durchaus kein schlechtes Image. Schließlich war Rory Gallagher auch nur mit einer Flasche Whiskey richtig gut an der Gitarre. Deshalb liebten ihn die Menschen. Er war einer der ihren. Er sprang für sie in die Bresche. Er zeigte es den geleckten Heinis auch mit strähnig-fettigen Haaren, er war Verlierer und Sieger zugleich. Er war Mensch. Er war die seltsame Mischung aus Vollzeit-Rennfahrer, Mechaniker und hauptberuflichem Wirt in der Bahnstation seines Geburtsortes Ballymoney. The Peg, also sinngemäß der Fassspund, heißt die Wirtschaft offiziell, im Volksmund spricht man aber nur von Joey’s Bar. In England gehörte er zu den bekanntesten Sportlern, in seiner Heimat Nordirland war er ohnehin Held, Idol, Legende, Superstar und zugleich der nette, bisweilen scheue Kumpel von nebenan. Für seine sportlichen Erfolge erhielt er den Titel Member of British Empire, was in etwa vergleichbar mit dem Bundesverdienstkreuz ist. Für seine selbst durchgeführten Hilfsaktionen in Bosnien und Rumänien bekam er außerdem den hoch geachteten Titel Order of British Empire. Was er übrigens nie an die große Glocke hängte. Es wäre auch nicht seine Art gewesen. Weil er sich meistens nicht zu ausschweifenderen Kommentaren als „nice place“ oder „good race“ hinreißen ließ, bot er reichlich Platz für Legenden. Etwa als der Mann, der im Spätherbst auf die Isle of Man reist, um bei Nacht im Mietwagen mit ausgeschaltetem Licht um den Kurs zu jagen. Oder der sich bei seinen letzten Erfolgen sein Racebike schnappte, um nächtens die letzten dunklen Schlupfwinkel seiner Memorierkunst zu vervollkommnen. Oder der Gestrandete mit leergefahrenem Tank, der für seine 125er etwas Sprit im Pappbecher einsammelt, dann einen Schuss Gabelöl für die Mischungsschmierung dazugibt, und so doch noch rechtzeitig zum Zeittraining für die nächste Klasse antreten kann. Auch machte die Geschichte vom Geschäftsfreund mit Geldproblemen die Runde. Jener wollte sich von Dunlop eine größere Summe leihen, die dieser ihm ausschlug. Daraufhin nahm sich der Geschäftspartner das Leben. Der aufgewühlte Joey Dunlop flüchtete sich ins Vergessen. Er reiste gen Estland, um Rennen zu fahren, um zu verdrängen. Er scheiterte am Rennglück oder er setzte alles auf eine Karte. Im Nachhinein sind viele Sichtweisen möglich. Tatsächlich ist er wohl im schlichten Reifenpoker unterlegen. Ein Fehler, eine unerbittlich für alle Zeiten bezahlte Rechnung.
Nachdem er auf dem ihm bekannten Kurs in Estland bereits die ersten beiden Rennen gewonnen hatte, setzte er auf eine leicht abtrocknende Strecke und ließ hinten einen Intermediate-Reifen aufziehen. Beim Herausbeschleunigen aus einer schwierigen Kurvenkombination brach das Hinterrad der 125er aus, Dunlop schleuderte gegen unmittelbar an der Strecke stehende Bäume. Er war auf der Stelle tot. Was auf einer regulären Grand Prix-Strecke mit Schädelbrummen und Prellungen ausgegangen wäre, bezahlte Dunlop diesmal mit dem Leben. Kurz, dramatisch, endgültig. So wie Helden sterben. Wir alle hätten ihn gerne weiterhin auf der Isle of Man erlebt. Und irgendwann, in fernen Tagen, wäre er ganz einfach verschwunden. In der Senke von Bray Hill hätte ihn die Straße für immer geschluckt. Keiner hätte ihn mehr bei Quarter Bridge elegant die Kurve nehmen sehen. Er wäre für immer auf der Isle of Man geblieben. Ein fliegender Rennfahrer mitten in der Irischen See. Sicher wird er im nächsten Jahr wieder auf der Isle of Man sein. Man wird einen kleinen, grauhaarigen Mann kurz aus dem Augenwinkel heraus erkennen. Er wird einen Pappbecher mit Bier in der Hand halten und eine abgeklimmte Kippe. Und manche werden schwören, ein kurzes „bloody idiots“ aus seinem nuschelnden Mund gehört zu haben.
Fotos: Buenos Dias | Honda
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