Gab es jemals einen Motorradrennfahrer, über den mehr geschrieben wurde? Ich habe mindestens vier Bücher im Regal stehen und seit den 1980ern besitze ich ein ‘Barry Sheene Jahrbuch’ mit professionellen Fahrtipps von Sheene höchstpersönlich (und ja, ich habe dieses Buch heute noch).
Sheene (1950-2003) ist, zum aktuellen Zeitpunkt, der letzte britische FIM-GP-Straßenweltmeister, dank des zweiten seiner insgesamt zwei Weltmeistertitel im Jahr 1977 (allerdings kann Moto3-Pilot Danny Kent diese 38-jährige Durststrecke dieses Wochenende in Malaysia beenden). Seine erste Weltmeisterschaft feierte der Bultaco-Suzuki-Yamaha-Fahrer aus London in dem Jahr, in dem ich geboren wurde – 1976 – und durch eine Kindheit, die stark von der Leidenschaft meines Vaters für den Motorradrennsport geprägt war und mich gleichermaßen begeisterte, war die ‘7’ unser Held, das Aushängeschild und der ultimative Star dieser Zeit. Bis zu seinem Rücktritt im Jahr 1984 war er das Idol meiner Jugend; von da an gab es neue ‘Helden’ wie Ron Haslam, Wayne Gardner und sogar Carl Fogarty, die mein Erwachsenenalter prägten.
Schon lange vor seinem viel zu frühen Krebstod vor fast 13 Jahren, hatte Sheene sich verewigt, indem er den Motorsport einer vergangenen Ära prägte. Er erfüllte alle Klischees: Playboy, Unternehmer, leichtsinnig und lebenslustig. Sheene war die Ikone einer Zeit, in der die Welt größer, geheimnisvoller und viel weniger verbunden war. Er entsprach der Definition einer ‘wahren Berühmtheit’ (dessen Name auch über Altersgrenzen hinweg bekannt ist): Fotoshootings, Ruhm, Model-Freundinnen, Donald Duck, Nummer ‘7’, TV-Übertragungen, Socialising, Stürze, Verletzungen und natürlich seine sportlichen Erfolge.
Barry Sheene Brands Hatch 1979
Auf die gleiche Weise, in der ein Kind heute in der Erwartung Lionel Messi oder Cristiano Ronaldo Fußball spielen zu sehen den Fernseher anschaltet, kann ich mich daran erinnern, wie ich mit meinem Vater nach Brands Hatch fuhr, aufgeregt und neugierig, weil Sheene dort starten würde. Natürlich war es mein Glück, dass Stars wie Barry damals viel zugänglicher waren als aktuelle Fahrer auf dem gleichen Level. Die einzige wirkliche Parallele, die man in Sachen Status, Berühmtheit und Charakter ziehen kann, ist die Nummer ‘46’ (ich muss nicht einmal seinen Namen schreiben und trotzdem weiß jeder, wer gemeint ist), nur, dass der Italiener die ersten Erfahrungen mit Ruhm und Erfolg zu Zeiten von Internet und Social Media machte und das Rampenlicht wahrscheinlich weniger suchte als Sheene.
Wir waren daran gewohnt, Barry viele Rennen fahren zu sehen (und konnten optimistisch auf ein Autogramm oder Foto hoffen), dank seiner Verpflichtungen in der Britischen Meisterschaft und Rennen wie der Transatlantic Trophy (ein Straßenrennen in Großbritannien nach dem Vorbild des Ryder Cup). Mir wurde oft erzählt, dass es irgendwo ein Foto aus früher Kindheit mit mir und Barry gibt (bisher konnte ich es nicht finden). Außerdem habe ich vage Erinnerungen an ein Rennen im glühend heißen Spa Franchorchamps in den frühen Achtzigern, bei dem wir es irgendwie in den Paddock und ganz nah an die blau-weißen Suzukis mit der charakteristischen Nummer ‘7’ schafften. Wenn ich heute zurückblicke, war er ein Typ, der aussah wie ein Superstar und von anderen auch als solcher wahrgenommen wurde, sich aber nichts dabei dachte, einem kleinen Kind zu winken und für den Autogramme nie eine lästige Pflicht zu sein schienen (vielleicht war es das, aber ich habe nie von jemandem gehört, der kein Autogramm von ihm bekommen hätte).
Barry Sheene Spa Franchorchamps 1984
Sheene war ein Meister darin, aufzufallen. Wenn nicht durch seine Fähigkeiten als Rennfahrer und seinen leicht zu erkennenden Fahrstil (etwas aufrecht, Zehen auf den Fußrasten und die Beine weit abgewinkelt), dann war es für ein Kind wie mich der Name, der Akzent, die Späße, das Rockstar-Image und die fröhliche Persönlichkeit, die man selbst bei Interviews über den Streckenlautsprecher spürte. Er war jemand, den man nicht übersehen konnte, jemand, der siegte, jemand den du wahrnahmst – und der dich wahrnahm – und für den du dich am Ende einfach begeistern musstest. All diese Dinge sind wichtig für einen kleinen Jungen, der für sich herauszufinden versucht, wie er eine emotionale Verbindung zu einem gefährlichen, aber gleichzeitig aufregenden Sport finden soll.
Eine Reihe von Missgeschicken wie der Sturz beim Daytona 200 im Jahr 1975, Yamahas Politik in Sachen Motorräder, der Feuerball im Training zum Grand Prix von Silverstone 1982 (als er gute Chancen auf einen dritten 50ccm-Titel hatte) und seine schlechte Position bei Suzuki nach zwei schweren Knieverletzungen, schienen dieses Außenseiterimage nur noch zu verstärken, auch wenn er zu dieser Zeit der größte Name im Straßenrennsport war.
Nach allem, was man hört, war Sheene kein Heiliger und es gibt Geschichten über Manipulation, Stolz und Charaktereigenschaften, die die Veränderung der (soziokulturellen) Werte in den 60er, 70er und 80er Jahren deutlich widerspiegeln. Aber diese Dinge findet man immer erst später heraus und es gibt nichts, das die anfängliche Bewunderung wirklich trüben kann. Ich erinnere mich noch gut an seine Demorunde beim GP in Donington Park – 1988 oder 1989 – in Jeans und einem geliehenen Helm auf Kevin Schwantzs Pepsi Suzuki; es war eines der Highlights des Tages. Über ein Jahrzehnt später, fuhr er mit einer Manx Norton bei einem Klassik-Rennen und ich kann mich glücklich schätzen, denn ich habe dieses Rennen gesehen.
In unserem Haus gab es unzählige Magazine, Bücher wie Motocourse und Videokassetten mit ‘Barry Sheene’s Six of the Best’, auf denen der Mann höchstpersönlich seine besten Rennen mit dem erfahrenen Kommentator Murray Walker bei ein paar Zigaretten diskutiert. Und nicht zu vergessen der Film ‘Space Riders’, in dem echte Rennszenen mit einer lächerlich fiktionalen Handlung um zwei gegnerische Rennteams mit Barry in der Hauptrolle verbunden wurden. Die Actionbilder und der Soundtrack waren das einzig gute an diesem Film. Ich weiß noch genau, wie Sheene frühmorgens auf dem Sofa des Frühstückfernsehens saß und kleinlaut Werbung für diesen Film machte.
Im Nachhinein betrachtet hat Barry (ein 50ccm-GP-Sieg, drei bei den 125ern und 19 in der 500ccm-Klasse, 12 nationale Meisterschaftstitel und Träger des britischen Verdienstordens des Order of the British Empire) sich vor allem durch seine Verdienste um eine Nischensportart einen Namen gemacht. Jemandem zu versuchen zu erklären, warum man sich für den Motorradrennsport begeistert, wurde auch für Nicht-Experten und Nicht-Fans verständlich, sobald man seinen Namen erwähnte. Eine Kombination von Faktoren führte zu seinem mystischen Status und für viele Menschen war er aus verschiedenen Gründen ein ‘Held’. Für mich war er ein verdammt guter Rennfahrer und jemand, für den man sich gern und leicht begeistern konnte. Ich hatte ein T-Shirt, das aussah wie seine Lederkombi und kann mich an viele kindliche Zeichnungen von Motorrädern mit der Nummer 7 erinnern. Vermutlich würden Merchandising-Artikel oder Kleidung mit Barry Sheene-Thema auch heute noch gut ankommen.
Als ich letztes Jahr Weihnachten ein Bild für das neue Büro meines Vaters kaufen wollte, gab es natürlich nur ein Motiv …
Fotos: Liam Wheeler
Comments