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Hartes Training: Offroad-Fitness

Offroad-Fahren ist verdammt anstrengend. Es gibt wohl kaum eine andere Form des Motorradfahrens, die physisch und mental so anspruchsvoll ist … nicht nur im Rally-, Enduro- und Motocross-Training, natürlich auch im Wettkampf selbst. Was braucht es, um auf Topniveau erfolgreich zu sein? Um Rennen zu gewinnen und Rivalen in einer FIM Weltmeisterschaft wie der MXGP zu besiegen? Wie schlagen sich die Profis im Vergleich zu anderen Sportlern? Wir haben uns im GP-Fahrerlager umgehört und der zweifache britische Meister, GP-Sieger und aktuelle Wilvo Virus Performance KTM-Fahrer Shaun Simpson gewährte uns Einblicke in seinen Trainingsalltag …

Shaun Simpson (GBR) Loket (CZE) 2016

Shaun Simpson (GBR) Loket (CZE) 2016


„Motorradfahren ist viel anstrengender, als es aussieht“, sagt der deutsche Sportwissenschaftler Stephan Nuesser, der viele MXGP-Piloten trainiert. „Während der Rennen haben die Fahrer einen Puls von 170 bis 190 Schlägen pro Minute. Bei zwei Läufen von jeweils 35 Minuten ist das eine lange Zeit unter hoher Belastung. Die Schläge nach Sprüngen oder Bodenwellen kosten viel Energie.“

Auf der Suche nach einem konstant hohen Leistungsniveau und einer guten Kondition, die dabei hilft das Verletzungsrisiko während der Saison – mindestens 20 Rennwochenenden und 60-70 Rennstarts – auf ein Minimum zu reduzieren, nehmen professionelle Motocrosser ihr Training sehr ernst. Während der letzten 40 Jahre wurde die intensive physische Vorbereitung ein immer wichtiger Erfolgsfaktor in einem Sport, der Fahrern und Maschinen Extremes abverlangt. Seit Beginn des Jahrhunderts erlebt der Motocrosssport einen Zustrom professioneller Trainer und versucht gleichzeitig, Entwicklungen und Fortschritte anderer Sportarten für sich zu nutzen. „Leider gibt es kaum wissenschaftliche Aussagen, Studien oder sportspezifische Informationen zum MX-Sport“, sagt Nuesser. „Mittlerweile hat fast jeder Topfahrer einen eigenen Trainer. Das ist gut, aber ich würde es begrüßen, wenn noch mehr professionelle Trainer in diesem Sport arbeiten würden.“

In der MXGP – 18 Rennen mit jeweils zwei Läufen und einem Qualifikationsrennen am Samstag im Zeitraum von Februar bis Ende September – diktiert weitestgehend der Terminkalender das Trainingsprogramm. Jeder Fahrer hat eine bevorzugte, persönliche Herangehensweise und die meisten lassen sich bei ihrem Training nicht in die Karten schauen; es ist aber allgemein bekannt, dass die Monate November und Dezember genutzt werden, um die physische Basis für die nächste Saison aufzubauen. Im Oktober wird für die kommende Saison getestet und der wohlverdiente Urlaub genossen. Im Januar stehen erste Vorsaisontests und Warm-up-Events an, bevor das MXGP-Fahrerlager in eine neue Saison startet.

„Die Basis wird mit geringer Intensität aufgebaut, d.h. lockeres Training, zum Beispiel längere Fahrten mit dem Rennrad bei niedrigem Puls“, sagt Simpson. „Es ist eine ziemlich lange und etwas monotone Trainingsphase, die vor allem aus Balance- und Basisübungen besteht. Später kommt dann das Intervalltraining dazu. Das Basistraining bildet die wichtige Grundlage, die eine Voraussetzung für den nächsten Schritt ist. Je breiter die Basis, desto besser. Man kann sich das ungefähr vorstellen wie bei einer Pyramide; man beginnt mit dem größtmöglichen Teil und baut dann immer höher. Für die Saison muss die Basis möglichst stabil sein, so dass man sich bei der Regeneration darauf verlassen kann.“

Das Basistraining kann eine Bandbreite verschiedener Aktivitäten umfassen: Alpin- oder Biathlontraining oder Kardiotraining wie Radfahren, Laufen oder Schwimmen. Dieses Training absolvieren die Athleten nach einer Pause im Anschluss an die Saison. Eine Auszeit ist dabei enorm wichtig. „Jemand hat mir das mal folgendermaßen erklärt: Die Zellen in deinem Körper sind wie ein Schwamm. Wenn du deinem Körper genug Zeit gibst – so etwa sechs Wochen – dann ist dieser Schwamm bereit, etwas aufzunehmen, also bereit für Aktion. Kurz nach einer langen Saison ist er zusammengedrückt und kann nichts aufnehmen.“

Shaun Simpson (GBR) Edinburgh (GBR) 2015

Shaun Simpson (GBR) Edinburgh (GBR) 2015


Wie fit müssen Motocrosser wirklich sein? Stark? Beweglich? Ausdauernd? Muskelbepackt? „Das Gesamtpaket ist wichtig“, sagt Shaun. „Du brauchst Muskelmasse, aber nicht zu viel, denn auch Ausdauer und Beweglichkeit sind wichtig. Du solltest möglichst schlank sein, aber dennoch über genug Reserven verfügen. In der MX2 [250ccm] sieht man ein paar sehr schlanke Fahrer, die ihr Gewicht niedrig halten. Für mich war das immer problematisch, denn je leichter ich werde, desto weniger habe ich das Gefühl, genug Reserven zu haben. Das ist ein etwas schwieriger Aspekt.“

Egal, ob während des Basistrainings, des Intervalltraining oder während der Saison, die Fahrer versuchen ihr Leistungsniveau zu halten und am Renntag so leistungsfähig wie möglich zu sein. „Ich glaube nicht, dass der Kalender oder das Timing für uns so entscheidend ist, wie zum Beispiel für einen Olympia-Athleten. Aber wir müssen über einen langen Zeitraum in guter Verfassung sein und dafür ist es wichtig, auf die Trainingsroutine, Erholungsphasen, ausreichend Schlaf und eine gute Ernährung zu achten“, erklärt Simpson. „Ich denke, das ist die Basis, auf die jeder achten sollte. Natürlich gibt es noch sehr viel mehr, das man in sein Training einbauen kann! Kleine Dinge wie das Messen der Herzfrequenz am Morgen, so dass du abschätzen kannst, inwiefern du dich vom Tag zuvor erholt hast.“

Einige Experten meinen, dass das generelle Fitnesslevel eines Grand Prix- oder AMA Supercross-Piloten auf einem Level mit dem eines professionellen Radrennfahrers ist, zumindest bei denen, die für Triathlons trainieren. „Ich denke, dass einige der Fahrer auf einem sehr guten physischen Niveau sind, wenn auch nicht ganz vergleichbar mit einem Radrennfahrer bei Olympia“, sagt Nuesser. „Allerdings muss man bedenken, dass Motocrosser oft an der Strecke sind und sie nicht so viel Zeit auf dem Fahrrad verbringen wie Profiradrennfahrer, das macht es nur schwer vergleichbar. Bedenkt man die Zeit, die MX-Piloten für ihr Training zur Verfügung steht, sind sie auf einem sehr guten Niveau.“

„Triathlon, Laufen, Schwimmen, Radfahren; das alles gehört zu unserem vielseitigen Ausdauertraining, daher denke ich, dass viele der MX-Jungs auch bei anderen Sportarten gut abschneiden würden“, sagt Simpson auf die Frage, wie er möglicherweise bei anderen Sportarten abschneiden würde.

Shaun Simpson (GBR) Edinburgh (GBR) 2015

Shaun Simpson (GBR) Edinburgh (GBR) 2015


Verfassung, Selbstvertrauen, Verletzungen, Regeneration und Rehabilitation sind weitere wichtige Faktoren im Offroad-Sport. In den meisten Fällen ist die Frage nicht, ob sich ein Fahrer mit körperlichen Problemen auseinandersetzen muss, sondern wann. Blut- und Viruserkrankungen durch zu hohe Belastung sind nur einige der Komplikationen, denen sich ein Profi bewusst sein muss. „Wenn du verletzt oder krank bist, kannst du natürlich nicht normal trainieren. Da du nicht aufs Bike steigen kannst, verlierst du deine Fahrpraxis“, sagt Simpson über das Verletzungspech, das ihn dieses Jahr mit einer gebrochenen rechten Hand zwei GP-Rennen verpassen ließ; seine erste größere Verletzung seit 2009. „Wenn du dann wieder auf das Motorrad steigst, setzt du alles daran, möglichst schnell wieder auf das Topniveau zu kommen. Wenn man nicht in seiner Trainingsroutine ist, darf man es aber auch nicht übertreiben, im Rennkalender geht es Schlag auf Schlag. Es ist ein schmaler Grad und es ist nicht immer einfach, das richtige zu tun. Es gibt Wochen, da fühle ich mich voller Energie und dann, drei Wochen später, fühle ich mich einfach nur platt.“

Der Schweiß, den ein Pilot in sein Trainings investiert, ist nur ein Bruchteil im Leben eines Sportlers, aber ein deutliches Zeichen für die Hingabe, fast schon Besessenheit, für den Sport. Wehe dem, der sich im Fitnessstudio neben einem Motocrosser wiederfindet, besonders in der Winterzeit! „Eine Trainingseinheit dauert nur 40 Minuten, aber die ziehe ich voll durch“, sagt Shaun. „Während meines Trainings arbeite ich konsequent, gebe alles und versuche, immer ein Stück weiter zu gehen. Ich kann spüren, dass manche um mich herum denken ‘whoa’. Im Gegensatz zu mir unterhalten sie sich zwischen den Wiederholungen oder spielen mit ihrem Handy. Manchmal erwische ich mich dabei, dass ich in einer Pause denke: ‘Ich habe heute definitiv zehnmal härter trainiert als die’, aber dann siehst du jemanden, der beim Bankdrücken 200 Kilo stemmt und oder andere Dinge leistet, die ich nie machen könnte, weil mein  Körper dafür nicht gemacht ist!“

Shaun Simpson (GBR) KTM Assen (NED) 2016

Shaun Simpson (GBR) KTM Assen (NED) 2016


Wie würde eine normale Person bei einem Motocross-Workout abschneiden? „Das Workout hat immer den gleichen Ablauf: Übung, Erholung, Übung, Erholung. Und die Erholungsphase ist gerade lang genug, um kurz durchzuatmen und sich auf dem Trainingsplan die nächste Übung anzuschauen; dann geht es weiter. Ich glaube, wenn du genau weißt, was als nächstes auf dem Plan steht und einen genauen Ablauf vor Augen hast, dann bist du bereit … und wahrscheinlich würde jeder so eine Trainingseinheit durchhalten. Aber wenn ich im Anschluss sagen würde ‘ok, morgen wiederholen wir das ganze’, wäre das für die meiste vermutlich ein No-Go!“

‘Tough’ und ‘Motocross’ könnten Synonyme sein, aber der Grund für all diese Schufterei ist der Spaß am schnellen Motorradfahren und der Wunsch, die Grenzen auf dem Motorrad immer wieder aufs Neue auszuloten. Der Körper eines Fahrers ist Teil eines Gesamtpakets, der beeinflusst, wie gut, schnell und ausdauernd er ist. „Für einen so vielseitigen Sport ist es gut, ein möglichst umfangreiches Paket an Fähigkeiten mitzubringen. Ich kann mir vorstellen, dass Tour de France-Radprofis am Ende ihrer Karriere nicht mehr gerne aufs Fahrrad steigen, wenn sie jahrelang die gleiche Bewegung gemacht haben. Ich fahre gerne mit dem Rennrad, es macht wirklich Spaß, aber wenn ich jeden Tag 100-150 km nur für Trainingszwecke fahren müsste, dann wäre mir das irgendwann zu langweilig. Beim Motocross kannst du auf verschiedenen Belägen und unter verschiedenen Bedingungen fahren oder entscheidest dich gleich für Supercross. Auf der Straße sind die Variablen begrenzt: Asphalt, nass, trocken, flach oder hügelig; es ähnelt eher dem Schwimmen oder Laufen. Wir haben mit unserem Sport ziemliches Glück.“

Fotos: Ray Archer

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