Die Abu Dhabi Desert Challenge ist vorbei, das erste KTM Ultimate Race abgehakt und die Nachrichten werden davon dominiert, dass die Rallye Dakar nächstes Jahr nach Saudi-Arabien übersiedeln wird. Grund genug, dieses „heiße“ Thema genauer zu betrachten.
Hallo Wüste! In der kürzesten Anleitung zum Fahren in der Wüste, die je geschrieben wurde, geht es natürlich viel um Technik, sie wird sich aber vor allem auch der anderen Seite des Rennfahrens in der Wüste widmen: der Anpassung, Vorbereitung, Navigation, Flüssigkeitsaufnahme, Ernährung und Mentalität.
Sam Sunderland (GBR) KTM 450 RALLY Abu Dhabi Desert Challenge 2019 © Rally Zone
Das größte Geheimnis „Um ein großartiger Wüsten-Rennfahrer zu werden, kommt es auf die richtige Mischung aus Talent, Wissen und Erfahrung an“, so Jordi Viladoms, KTM Rally Team Manager und Dakar-Legende. „Die einen sind schnell, weil sie Mut haben, die anderen, weil sie eine Verbindung zwischen sich und dem Terrain herstellen. Auf der anderen Seite bietet die Wüste dir ein Gefühl der totalen Freiheit, während sie gleichzeitig Regeln aufstellt, die man nicht brechen sollte, wenn einem die eigene Gesundheit wichtig ist. Da draußen liegt dein Leben in deiner eigenen Hand und du kannst niemandem die Schuld zuschieben, außer der Natur. Nur wenige Fahrer verstehen, wo man Gas geben und wo man langsamer fahren muss, und das ist das ganze Geheimnis. Es geht nicht nur um den Schwung – der hat nur mit Technik zu tun. Es geht auch darum, deine eigenen Grenzen zu finden und das Terrain richtig zu interpretieren. Die Wüste gibt dir Tipps. Um diese zu verstehen, brauchst du aber viel Erfahrung. In den Dünen bist du versucht, geradeaus zu fahren, weil das die kürzeste Entfernung darstellt. Tatsächlich aber bist nicht du es, der deine Linie festlegt, sondern die Wüste. Alles, was du tun musst, ist, dich daran zu halten und ihr Respekt zu zollen.“
Sam Sunderland (GBR) KTM 450 RALLY Abu Dhabi Desert Challenge 2019 © Rally Zone
Eins werden mit dem Sand „In den Dünen zu fahren ist wie Skifahren oder Surfen“, verrät uns Chris Birch, Hard-Enduro-Spezialist und Offroad-Coach. „Meiner Meinung nach ist einer der coolsten Aspekte dabei, wie du und dein Bike mit dem Terrain interagieren. Im Hard-Enduro-Sport suchst du immer nach Grip und versuchst, das Terrain, die Hügel zu deinem Vorteil zu nutzen. In den Dünen ist es ähnlich, nur dass du noch mehr Feingefühl benötigst. Wenn du die richtige Linie findest, sind Dünen einfach zu überqueren. Wenn deine Linie aber nur leicht von der idealen abweicht, zerstört das deinen Rhythmus. Du brauchst das richtige Gefühl dafür, und das kommt nur mit Erfahrung. In der Wüste, und ganz besonders auf den großen Dünen, darfst du deinen Schwung nicht verlieren, was nicht immer einfach ist. Denk immer daran, eine gute, aggressive Haltung zu haben, damit eine Stelle mit weichem Sand dich nicht zu Fall bringt. Wenn du einmal herausgefunden hast, wie man im Sand fährt, musst du dich auf das Navigieren konzentrieren. Es ist völlig egal, wie schnell du bist, wenn du in die falsche Richtung fährst.“
Chris Birch (NZL) KTM 790 ADVENTURE R © Sebas Romero
Effektives Multi-Tasking „Wenn du ein Wüstenrennen gewinnen willst, musst du zuallererst sicherstellen, dass du dich nicht verirrst. Das bedeutet, dass du viel über die Kunst des Navigierens lernen musst. Um zu lernen, wie man das Terrain analysiert, musst du aber auch viel Zeit in den Dünen verbringen. Selbst wenn du das Gefühl hast, diese beiden Aspekte gemeistert zu haben, können noch unvorhersehbare Dinge passieren. Ein weiterer Punkt ist das Sonnenlicht. Wenn die Sonne niedrig steht, wirst du schneeblind und siehst du die Umrisse der Umgebung nicht mehr“, sagt Sam Sunderland, Sieger der Rallye Dakar 2017 und einer der besten Wüsten-Rennfahrer der Welt. „Sieh dir die Wüste genauer an: In ihr findest du viele Arten von Terrain und Dünen: kleine, mittlere, große und riesige. Jede Art verlangt eine andere Herangehensweise. Die riesigen Dünen sind nicht die gefährlichsten, machen dich aber völlig fertig. Kleine Dünen sind gefährlich, weil du schneller fährst und dahinter manchmal ein Abgrund lauert. Idealerweise sollte man nie über eine Düne springen, sondern beide Räder immer am Boden haben“, fügt er hinzu.
KTM 450 RALLY Dakar 2018 © PhotosDakar.com
Ruhig bleiben und Datteln essen „Um fünf Tage oder länger ein Rennen in der Wüste fahren zu können, muss man sie sich vor dem Rennen gut ansehen. Es ist wie mit hochgelegenen Orten: Die beste Art, sich zu akklimatisieren, ist, auf Berge zu steigen und sich daran zu gewöhnen“, so Mohammed Jaffar, Motocross- und Rally-Raid-Rennfahrer aus Kuwait. „Du kennst deinen Gegner nicht gut genug, wenn du ihm nicht bei sengender Hitze oder mit einem Sturm im Rücken gegenübergestanden bist. Wenn wir schon von extremen Bedingungen reden: Deine normale Fitness-Ernährung eignet sich wahrscheinlich nicht für die Hitze. Du brauchst Kohlenhydrate, die dir Kraft zurückgeben. An den Tagen vor einer Wüsten-Rally esse ich viel gedämpften Reis und Thunfisch. Die meiste Energie beziehe ich aber aus Datteln. Die Beduinen haben tausende Jahre mit der Hilfe von Datteln überlebt, und sie helfen auch mir, die Strapazen der Wüste zu überstehen. Und da in der Wüste nicht alles immer nach Plan läuft, solltest du immer cool bleiben und nie die Nerven verlieren. Stress verhindert, dass du klar denken kannst, und dann triffst du schnell falsche Entscheidungen. In der Wüste bist du auf dich alleine gestellt, also musst du dein Gehirn benutzen. Um Stress auf ein Minimum zu reduzieren, musst du zu 100% vorbereitet sein. Ich persönlich schreibe Listen mit Dingen, die ich brauchen könnte.“
Sam Sunderland (GBR) Abu Dhabi Desert Challenge 2019 © Rally Zone
Sei achtsam, brems dich ein und trinke, so viel du kannst „Die größten Gefahren in der Wüste sind du selbst, deine Entscheidungen, der Staub und die Austrocknung. Apropos Flüssigkeitszufuhr: Beginne mindestens zwei oder drei Tage vor dem Rennen damit, absichtlich zu viel zu trinken“, empfiehlt Quinn Cody, mehrfacher Baja-Gewinner und KTM-Testfahrer. „Du musst deinen Körper überwässern und deine Elektrolyse am Laufen halten. Während des Rennens solltest du deinen Flüssigkeitshaushalt immer auf einem hohen Niveau halten. Sei also achtsam und trinke, so viel du kannst. Wenn dir das Wasser ausgehen sollte, sei kreativ und proaktiv – halte bei der nächsten Siedlung an und bitte um einen Schluck. Das hilft dir auch dabei, keine Navigationsfehler zu machen. In der Wüste trocknest du schnell aus: Die Hitze, der Wind und die Anstrengungen des Fahrens bei hohen Geschwindigkeiten fordern ihren Tribut. Du musst daher viel mehr trinken, als du das bei einem normalen Enduro-Rennen tun würdest. Konzentriere dich und mache nicht zu viele Fehler – in der Wüste ist es extrem wichtig, Energie zu sparen“, erklärt Quinn. Sieh dich nur einmal um: Alle Lebewesen der Wüste haben eines gemeinsam. Sie sind alle Meister im Energiesparen!
Sam Sunderland (GBR) KTM 450 RALLY Abu Dhabi Desert Challenge 2019 © Rally Zone
Konzentration + Selbstvertrauen = Rhythmus „In der Wüste weißt du nie, was als Nächstes kommt, und das ist der schwierigste Aspekt“, so Luciano Benavides, das jüngste Mitglied des Red Bull KTM Rally Factory Racing Teams, das gerade seinen ersten Podestplatz in der Rally-Weltmeisterschaft errungen hat. „Die Unvorhersehbarkeit gehört einfach dazu. Du kennst das sich ständig ändernde Terrain nicht und das musst du einfach akzeptieren und annehmen. An einem Aspekt kannst du aber arbeiten – deinem Selbstvertrauen. Je weniger Angst du hast, desto entspannter und gleichmäßiger kannst du fahren. Wenn du angespannt und ängstlich bist, wirst du nicht gut fahren und nicht in den richtigen Rhythmus kommen. Es gibt nichts Vergleichbares als den perfekten Rhythmus – alle Dünen scheinen perfekt, deine Linien sind ideal, du denkst an gar nichts und genießt es einfach, dein Bike zu fahren. Kein anderer Bereich meines Lebens gibt mir dieses Gefühl, nur die Wüste. Ich kann es nicht einmal damit vergleichen, verliebt zu sein.“
Luciano Benavides (ARG) KTM 450 RALLY Abu Dhabi Desert Challenge 2019 © Rally Zone
Die Wüste ist ein großer Lehrmeister „Die wichtigste Lektion, die mich die Wüste gelehrt hat, ist, dass man nie die Konzentration verlieren darf. Da draußen können viele unvorhersehbare Dinge passieren und du wirst nur dann die Ziellinie sehen, wenn du immer konzentriert bleibst. In der Wüste kämpfst du schließlich nicht gegen andere Menschen, sondern eher gegen dich selbst, und dich selbst zu bezwingen, ist die größte Leistung. Du lernst, dich um dich selbst zu kümmern, anstatt dir über andere Sorgen zu machen“, so der ehemalige MX3-Weltmeister und Sieger der Rallye Dakar 2018, Matthias Walkner. „Wenn du ein Wüsten-Rennfahrer sein willst, musst du dich diesem Sport zur Gänze verschreiben. Es ist wirklich alles wichtig: Von deiner Ernährung über deine Mentalität bis zu den Freunden, mit denen du dich umgibst. Und dann musst du raus und fahren! Die Wüste verlangt deine volle Hingabe.“
Matthias Walkner (AUT) KTM 450 RALLY Dakar 2019 © Marcin Kin
Fotos: Rally Zone | PhotosDakar.com | Marcin Kin | Sebas Romero
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