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Der härteste Sport weit und breit: 3 Arten, auf die dich Motocross körperlich (und mental) umhauen w

Jeder, der schon einmal ein Geländemotorrad bei Renntempo gefahren ist, weiß, wie anstrengend das sein kann. Für die absolute Elite der Motocross-Fahrer ist ein Grand Prix oder ein Lauf zur AMA-Meisterschaft gleichermaßen zermürbend wie aufregend. Um mehr darüber herauszufinden, welche Strapazen der menschliche Körper bei einem 35-minütigen Grand Prix-Lauf über sich ergehen lassen muss, haben wir den bekannten Sportwissenschaftler Stephan Neusser zum Interview gebeten …

Red Bull KTM-Werksfahrer Jorge Prado kann kaum sprechen. Wir kauern über dem sechzehn Jahre alten MX2-Star und Rookie, als er sich nach dem zweiten Rennen zum tschechischen Grand Prix vor Erschöpfung auf dem Boden neben dem Laster des Werksteams ausstreckt. Nachdem er bereits mit seinen Mechanikern und seinem Team gesprochen hat, bitten wir ihn um seine Reaktionen zum Rennen, in dem er den vierten Gesamtplatz erreicht und nur knapp das Podium verpasst hatte. „Können wir das etwas später machen?“, keucht er und fügt hinzu: „Estoy reventado“, was frei übersetzt so viel wie „ich bin völlig fertig“ bedeutet.

Trotzdem atmet Jorge einmal tief durch und vermittelt uns seine Eindrücke der beiden Rennen. Mittendrin bittet er um etwas Wasser und hat immer wieder Schwierigkeiten, seine Gedanken zu sortieren, obwohl wir das Interview in seiner Muttersprache Spanisch führen. Prado, bereits Grand-Prix-Sieger, befindet sich sozusagen auf einer Reise. 2017 ist erst seine zweite Saison auf der KTM 250 SX-F und für den Rookie die bisher längste Renn-Offensive seiner Karriere. Die Entbehrungen der MXGP, brettharte, holprige Strecken und Untergründe, Sand, Regen, tiefer Schlamm, sengende Hitze und andere Umstände stellen den jungen Fahrer auf eine harte Probe.

Jorge Prado (ESP) KTM 250 SX-F Loket (CZE) 2017


Obwohl kampferprobte Veteranen des Sports wie Tony Cairoli nach dem Rennen längst nicht so abgekämpft wie Prado aussehen, zeigt seine Erschöpfung doch, welche körperlichen Strapazen der Motocross-Sport mit sich bringen kann (von anderen schwierigen Aspekten wie Psyche, Selbstvertrauen und Verletzungen ganz zu schweigen). Der aus Deutschland stammende Spezialist Stephan Neusser wurde beauftragt, Jorge auf seinem Weg durch seine erste Grand-Prix-Saison zu unterstützen. Wer wäre also besser geeignet, uns zu verraten, was Fahrer bei einem Motocross-Ausflug, einem Rennen oder einer schnellen Ausfahrt aushalten und „erleiden“ müssen?

1. Das geht auf die Pumpe Beim Motocross-Fahren verwendet man unzählige Muskelgruppen und muss sich stark konzentrieren, um das Motorrad ständig auf Kurs zu halten. Unser wichtigster Muskel, das Herz, steht dabei im Mittelpunkt und wird gnadenlos „auf Drehzahl gehalten“. „Unlängst habe ich während eines Grand Prix einige Messungen vorgenommen und herausgefunden, dass die durchschnittliche Herzfrequenz während eines Rennens zwischen 180 und 190 liegt“, erklärt Neusser. „Wenn das Gatter fällt, liegt sie zwischen 130 und 140, steigt aber bereits in der ersten Runde auf 180 oder 190 – höher geht es eigentlich nicht mehr. Dort bleibt sie auch das ganze Rennen lang. Der Ruhepuls eines Athleten liegt bei rund 60.“

Beim Motocross erreicht die Herzfrequenz also ein höheres Niveau als bei vielen anderen Sportarten. Außerdem wird nicht nur der Gasdrehgriff bis zum Anschlag gedreht. „Dieser Sport bringt ganz bestimmte körperliche Ansprüche mit sich“, so Stephan weiter. „Profi-Radrennfahrer erreichen dieses Niveau über lange Zeiträume nicht. Motocross kann man mit Sportarten vergleichen, bei denen Rennen ähnlich lange dauern, zum Beispiel mit 10 oder 15 km Langlaufen oder 10 km normalem Laufen. Ein 3000-m-Läufer ist es gewohnt, ständig am Limit und mit der maximalen Herzfrequenz zu laufen. Aufgrund der Tatsache, dass es sich auch beim Langlaufen um einen Ganzkörpersport handelt, glaube ich, dass es dem Motocross-Fahren am Nächsten kommt.“

Obwohl sie ihren Körper „nur“ einen Tag in der Woche derartig fordern, haben Motocross-Athleten starke Herzen, da sie regelmäßig fahren und trainieren. „Die Fahrer gewöhnen sich an die Strapazen; während des Trainings ist ihre Herzfrequenz wahrscheinlich im Bereich von 170-180, also nicht weit vom Rennpuls entfernt.”

Jorge Prado (ESP) KTM 250 SX-F Agueda (POR) 2017


2. Go fasta, eat pasta Um ein bestimmtes Geschwindigkeits- und Performance-Niveau aufrechtzuerhalten, zehren Fahrer ständig von ihren körperlichen Reserven. Nach nur einem Rennen haben sie einen großen Teil ihrer gesamten Reserven aufgebraucht.

„Ich schätze, dass Fahrer pro Rennen zwischen 500 und 700 Kalorien verbrauchen“, so Neusser. „Nehmen wir einmal an, du hast einen Kohlehydrat-Vorrat von 1500-1800 Kalorien. Nach zwei Rennen und einer Trainingssitzung hast du fast alle deine Reserven in Form von Glykogen aufgebraucht.“

„Der Körper bezieht seine Energie immer aus einer Mischung aus Fettsäuren und Kohlehydraten. Je intensiver er belastest wird, desto mehr Kohlehydrate und weniger Fettsäuren verbrennt er. Je ausdauernder ein Athlet ist, desto mehr Energie kann er aus seinem Vorrat an Fettsäuren beziehen.“

Kurz gesagt sind die Phasen vor einem Grand Prix und zwischen den Einzelrennen besonders wichtig für das „Auftanken“. Laut Neusser sind „Kohlehydrate bei einem Sport mit einem extrem hohen Intensitätsniveau die wichtigsten Energielieferanten. Entsprechend wichtig ist es, nach jedem Training und dem ersten Einzelrennen aufzutanken“. Um ihre Batterien aufzuladen, holen sich die meisten Profis diese Kohlehydrate über Reis und Nudeln sowie simple und leicht verdauliche Speisen und Nahrungszusätze zurück.

Im Angesicht dessen, was Prado in der Tschechischen Republik und viele andere Fahrer vor ihm erlebt haben – dieses Gefühls, gegen „eine Wand zu laufen“ oder in einem Rennen einfach nicht mehr angreifen zu können – sollte man die Kraft des menschlichen Körpers, anstrengende Phasen durchzustehen und auf Energiereserven zurückzugreifen, nicht unterschätzen. „Das könnte definitiv eine Rolle spielen“, sagt Neusser. „Ich wäre vorsichtig mit der Behauptung, dass dies [totale Ermüdung] ausschließlich eine Sache des Energieverlustes ist. Er könnte aber einen großen Anteil haben.“

Tony Cairoli (ITA), Jorge Prado (ESP) & Pauls Jonass (LAT) León (MEX) 2017


3. Die Muskeln nicht vergessen Jeder, der schon einmal nach einer Ausfahrt oder einem Rennen voller Schmerzen von seinem Motorrad gestiegen und wie ein Zombie davongewankt ist, weiß, wovon wir reden: Beim Motocross-Fahren wird dir jede einzelne Sehne langgezogen. Dieser Sport zerstört Muskelzellen und andere Bestandteile des Körpers mit hoher Geschwindigkeit. Diesem Abbau muss man dann mit Erholung entgegenwirken.

Neusser: „Creatin-Kinase (CK) ist ein Enzym in den Muskelzellen, das bei der Energieproduktion dieser Zellen hilft. Wenn Muskelzellen beschädigt werden, wird dieses Enzym ins Kapillarblut abgegeben, wo wir dann nach einem Rennen einen deutlichen Anstieg an CK feststellen können. Bisweilen sehen wir den normalen Wert um das Drei- oder Vierfache ansteigen. Er ist dann also viermal höher als bei normalen täglichen Aktivitäten wie Treppensteigen oder Tragen von Einkaufstaschen.“

„Alle Blutwerte haben einen Normalbereich und im Fall von CK liegt der maximale ‚normale‘ Wert bei 190. Nach einem Motocross-Rennen habe ich aber bereits Werte von bis zu 1000 gemessen, was ungefähr dem entspricht, was man nach einem Marathon erwarten würde.“

„Der Abbau von Muskelgewebe und -zellen lässt sich auf die schweren Schläge und Belastungen während des Fahrens sowie – meiner Meinung nach – eventuell auch auf die Vibrationen des Motorrads zurückführen.“

Interessanterweise bedeutet Erholung nicht, auf dem Sofa zu lümmeln und Pizza zu bestellen. „Die Art der Erholung hängt vom Grad der Beschädigung ab“, so Neusser grinsend. „Prinzipiell lässt sich sagen, dass man bei einem hohen CK-Anteil drei Tage braucht, um in eine normale Erholungsphase zu kommen … das hängt aber von der Beeinträchtigung ab. Das bedeutet Ruhe und Erholungstraining. Einfach nur auf der Couch zu liegen, beschleunigt diesen Prozess kein Bisschen. Viele Menschen und sogar Athleten berichten, dass sie sich am Tag nach einem intensiven Training müde fühlen und am zweiten Tag danach sogar noch mehr. Die meisten Profis haben sich nach 48 Stunden wieder völlig erholt, wir haben aber auch schon Fahrer erlebt, die nach einem besonders anstrengenden Rennen an einem Sonntag selbst am darauffolgenden Mittwoch noch nicht wieder voll da waren. Das hängt von Faktoren wie den Schlägen, der Fitness des Fahrers und davon, wie hart er gefahren ist, ab.“

Jorge Prado (ESP) León (MEX) 2017


Sport tut Geist und Körper äußerst gut. Beim Motorradfahren kommt beides zum Einsatz. Motocross ist ein Sport der Extreme physischer, mentaler und sogar spiritueller und kultureller Natur und wie die meisten Dinge, die ein wenig schlecht für dich sein können, fühlt er sich fantastisch an.

Fotos: KTM

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