Eines der wichtigsten Themen bei der EICMA 2016 in Mailand war die Tatsache, dass neue Straßenmotorräder bald ohne Ausnahme den Euro-4-Richtlinien entsprechen müssen. Wir haben genauer nachgefragt.
Auf der gewaltigen EICMA-Messe in Mailand – wo neue und alte, Groß- und Nischenhersteller ihre neuesten Modelle präsentierten – steckte hinter all dem Schein, den Formen und dem Versprechen fantastischer Fahrerlebnisse auch die Wahrheit, dass neue Straßenmotorräder ab 2017 strengen Regelungen entsprechen müssen. Zwar sind die Entwürfe der Motorraddesigner radikaler als je zuvor und moderne Technik ermöglicht großartige Fortschritte, aber die Aufgabe, vor der die internationalen Motorradhersteller stehen – nämlich ihre Modelle dem EU-Markt anzupassen – bringt so manche Herausforderung mit sich.
Die Euro-4-Richtlinien betreffen grundsätzlich die Emissionen und Sicherheitsstandards aller Bikes, die nach dem 1. Januar 2017 zugelassen werden (bestimmte Typen wie Mopeds und Roller bekommen noch eine Schonfrist von einem Jahr). Die Europäische Union begrenzt bereits seit bald zwanzig Jahren sukzessive die Emissionswerte und die Beschaffenheit neu zugelassener Motorräder und anderer motorisierter Fahrzeuge mit zwei Rädern; und die 4. Auflage ist etwas, dessen Auswirkungen die europäischen Firmen erst einmal verdauen und woran sie ihre Entwicklungen in der Folge entsprechend anpassen müssen.
„Euro 4 ist eine große Sache und hat nicht nur Auswirkungen auf die Lärm-, sondern auch auf die Abgasemissionen, und außerdem muss jedes Motorrad ABS haben,“ so KTM-Produktmarketing-Manager Adriaan Sinke. „Die Standards sind schwer zu erreichen und wir mussten weite Teile unseres Produktangebotes modernisieren, um den Vorgaben zu entsprechen.“
Hinter dem technischen Kauderwelsch der Euro-4-Regeln versteckt sich grundsätzlich eine Begrenzung der Werte bezüglich Kohlenstoff-, Auspuff- und Lärmemissionen. Es wird nicht genug sein, einfach nur den Schalldämpfer zu modifizieren. Vielmehr geht es um eine Veränderung in der Essenz des Motorrads: um die Art und Weise, auf die ein Motor gefertigt wird und seine Leistung abgibt, um die Fülle an Elektronik und die entsprechenden Auswirkungen auf das Motorrad als Ganzes.
„Es ist ganz schön stressig und eine der größten Herausforderungen besteht darin, dass man mit seinen Produkten echte Fortschritte machen und sie nicht nur an neue Regeln anpassen möchte,“ fügt Sinke hinzu. „Man möchte seine Technologien verfeinern und das Fahrgefühl des Bikes verbessern. Diese Dinge unter einen Hut zu bringen, ist nicht einfach. Bei der KTM 1290 SUPER DUKE GT haben wir letztes Jahr erstmals versucht, alle Vorgaben umzusetzen.“
KTM 1290 SUPER DUKE GT MJ2016
Das schwierigste Element der europäischen Gesetze, an denen die Branche zu knabbern hat, ist die geringe Zeitspanne, die Hersteller nach der Ratifizierung der Regeln für neue Projekte (und Verbesserungen aktueller Modelle) zur Verfügung haben. „Wir sehen das bereits mit Euro 5“ sagt Sinke. „Obwohl es noch nicht finalisiert wurde, kennen wir das ungefähre Datum. Allerdings werden wir die genauen Anforderungen erst sehr spät erfahren. Vieles davon [Euro 4] wurde erst vor etwas mehr als einem Jahr eingeführt und einer Firma, die neue Motoren oder Einspritzsysteme entwickeln muss, bleibt nicht mehr viel Zeit zum Testen und Entwickeln. Wir haben es mit einem engen Zeitfenster zu tun, enger als es sein sollte.“
Am KTM-Stand auf der EICMA-Messe, wo – wie es scheint – alle Modelle aus dem orangefarbenen Katalog ausgestellt sind, erweckt kaum etwas den Anschein, dass sich die KTM-Palette und ihre Mitbewerber deutlich verändert haben. Wir haben Sinke gefragt, wo man Beispiele für Veränderung finden könnte. „Vieles begann mit der [2016er] KTM 690 DUKE und dem Motor, den wir für dieses Bike entwickelt haben, und viele Bestandteile der Technologie, die in der KTM 1290 SUPER DUKE GT stecken, finden gerade ihren Weg in die KTM 1290 SUPER DUKE R und die ADVENTURE-Modelle, so etwa die Laufruhe dieses Motors als Resultat der Verringerung der Emissionen und Vibrationen. Diese Bikes sind einfach grandios zu fahren,” erklärt er. „Während wir an diesem Aspekt arbeiteten, haben wir außerdem die Gasannahme und einige andere Eigenschaften verbessert. Der LC8-Motor ist ein gutes Beispiel für den Euro-4-Gedanken. Wenn du von einer KTM 1190 ADVENTURE auf die neue 1290er wechselst, bemerkst du sofort, wie anders sie sich anfühlt und reagiert: Die bessere Leistungsabgabe und die verringerten Vibrationen durch die Resonanzkammern. Wenn die Luft in den Motor gesaugt wird und das Einlassventil schließt, muss die Luft zurück in den Einlasstrakt, also haben wir eine Resonanzkammer geschaffen, die den Druck ausgleicht. Sie verringert die Vibrationen am Einlasstrakt deutlich. Du spürst es sofort, wenn du von einem Bike auf das andere steigst. Die KTM 1290 SUPER DUKE R ist nun noch stärker und wir haben auf ihr bereits ein Rennen der Twin-Serie in Mugello gewonnen! Und das ist ziemlich cool. Wenn man bedenkt, welche Anstrengungen man unternehmen muss, um die neuen Standards zu erfüllen und gleichzeitig die Leistung zu erhöhen, spricht das Bände über die Leistungsfähigkeit unserer Ingenieure.“
KTM 1290 SUPER DUKE R MJ2017
Nach der 4 kommt die 5: Welche Effekte wird Euro 5 haben? Wieder zurück zum Ausgangspunkt? Sinke: „Die genauen Parameter wurden noch nicht festgelegt. Die ersten Anzeichen – sowie unsere eigene Einschätzung – sprechen aber dafür, dass sie nicht mehr so drastisch sein werden. Bei den Emissionen wird die Begrenzung nicht so extrem ausfallen wie in der Vergangenheit. Wir werden Onboard-Diagnosesysteme der neuen Generation einbauen müssen und das erfordert viel Software-Programmierarbeit, viele Arbeitsstunden und viel Testarbeit.“
Natürlich ist die Absicht der europäischen Gesetzgebung eine positive und ein Zeichen unserer Zeit – einer Zeit, in der die Umwelt in den Köpfen der Menschen an Bedeutung gewinnen muss. Es wird immer Skeptiker geben, die die Effektivität und politische Motivation hinter diesem Beschluss in Zweifel ziehen werden, und andere Länder und Regionen der Welt scheinen einen komplett anderen Weg einzuschlagen. Obwohl sie für rauchende Köpfe in den F&E-Abteilungen von Marken wie KTM sorgen, stellen Euro 4+5 eine Realität dar, die man akzeptieren muss.
„Vielleicht werde ich langsam alt, aber ich bin nicht immer der Meinung, dass laute Endtöpfe die Lösung aller Probleme sind,“ sagt Sinke. „Ich liebe laute Motoren wie jeder andere auch. Ich bin aber auch viel gereist und in einigen Entwicklungsländern kannst du mit eigenen Augen sehen, dass dort wirklich etwas unternommen werden muss, um die Emissionen zu reduzieren. Von diesem Standpunkt aus ist es wahrscheinlich eine gute Sache, dass wir solche Regeln haben. Und zu Systemen wie ABS und Traktionskontrolle: Die Meinungen dazu gingen in der Vergangenheit auseinander, aber mich hat das Kurven-ABS bereits einige Male gerettet und es macht mich insgesamt zu einem besseren, schnelleren und sichereren Fahrer. Die Regeln haben zu diesen Entwicklungen beigetragen.“
Fotos: KTM
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