Die Rallye Dakar ist ein enormes Unterfangen. Aus diesem Grund verlangt sie nach mehr geschickten Händen und klugen Köpfen als alle anderen Cross-Country-Rallys der Saison. Dieses Jahr bestand das Team hinter den Red Bull KTM-Werksfahrern aus 33 Mitgliedern und erzielte unter der Leitung des neuen Teamchefs Jordi Viladoms ein historisches Resultat. Wir sprachen mit fünf Menschen, die sich der orangen Familie für die Dakar angeschlossen haben.
Sie kamen nach Lima, um sich um Fahrer, Team, Lastwagen, Wohnmobile und die KTM-Kunden zu kümmern. Wie kam es, dass sie sich KTMs Dakar-Einsatz angeschlossen haben, und welche Rollen haben sie inne? Wie war es früher, als die Rallye Dakar noch in Afrika ausgetragen wurde, was hat sich verändert, was ist genau gleichgeblieben und was haben Liebe und Leidenschaft mit alldem zu tun?
Alles!
Red Bull KTM Rally Factory Racing Team Dakar 2019 © Marcin Kin
August Linortner, Lastwagenfahrer „Meine erste Dakar bestritt ich 1997. Damals hatten wir Satellitentelefone dabei, die so groß wie Reisekoffer waren. Die benutzten wir aber nur im absoluten Notfall. Wir waren ohne viele Informationen unterwegs, aber das war nicht unser Hauptproblem. Der Lastwagen war zu schwer und es war die erste Dakar für den Fahrer“, lacht er und deutet auf sich selbst. „Wir haben quasi durch Praxis gelernt, die Dakar zu überstehen. In Mauretanien brauchten wir manchmal 24 Stunden von einem Basislager zum nächsten. Es war unfassbar! Auch unser Lastwagen musste den Tribut zollen; es gibt wohl kein trockeneres und unbarmherzigeres Land auf dieser Welt. Alles, was kaputtgehen konnte, ging auch kaputt und wir beendeten die Dakars in Afrika mit völlig zerstörten Lastwagen. Bei den großen Reparaturen vertrauten wir hauptsächlich auf Wunder. Überraschung – in Afrika passieren diese auch tatsächlich!“
Obwohl Afrika hart war, leuchten seine Augen, als er sich erinnert: „Afrika gab uns allen ein Gefühl völliger Freiheit. Nichts war berechenbar, nichts einfach und die Kommunikation eine echte Herausforderung. Die Menschen in und um die Basislager waren alle unglaublich freundlich. Natürlich hat sich die Dakar seitdem stark verändert. Die Distanzen wurden merklich kürzer, in den Wohnmobilen bekommen die Fahrer nun frisches Obst, die Kaffeemaschine ist immer in Reichweite und Hilfe immer rechtzeitig da. Andererseits wird die Dakar wohl niemals einfach sein. Ich fühle immer noch denselben Geist des Abenteuers und für so ein Team zu arbeiten ist ein wahr gewordener Traum.“
Bevor er in den Offroad-Bereich wechselte, arbeitete der Ex-Rennfahrer für Mike Leitner. Später wechselte er die Disziplin, seine Arbeit blieb aber mehr oder weniger gleich. „Ich kümmere mich um die Motorsport-Flottenlastwagen, insgesamt bin ich für 15 Lastwagen zuständig. Außerdem bin ich der Mann für alles im Motorsport-Gebäude. Ich löse fast alle Probleme“, so der lebenslange Student der Dakar-Universität. „Ich verließ mit 15 die Schule, um mir meine Hände dreckig zu machen, und meine Motorrad-Leidenschaft brachte mich zur Dakar. In dieser Universität bin ich bis heute eingeschrieben und sammle hier – wie alle anderen Studenten auch – die verrücktesten Erfahrungen meines Lebens.“
Red Bull KTM Team Truck Dakar 2019 © Marcin Kin
Tom Haider, Personal Assistent „Das ist die dritte Dakar meines Lebens“, sagt Tom, während er das Wohnmobil für Hiasi – Spitzname von Matthias – und Luciano vorbereitet, das sie sich bei der Dakar 10 Tage lang teilen werden. „Ich kenne Hiasi schon sehr lange. Wir haben uns auf der Motocross-Strecke getroffen – wo sonst? Wir lieben denselben Sport, er spielt aber offensichtlich in einer ganz anderen Liga. Ich habe erst spät angefangen, bin aber trotzdem auf nationaler Ebene Rennen gefahren. Wenn ich nicht gerade an einem alten Auto arbeite, ziehe ich noch manchmal die alte Kluft an“, lacht der 34-jährige IT-Spezialist aus Salzburg.
Die Geschichte hinter seinem Weg zum auf harte Fälle spezialisierten Mechaniker ist voller Weisheit und es daher wert, erzählt zu werden. „Ich war 19 und hatte gerade mein erstes Auto gekauft. Es war ein alter Audi Quattro und hatte natürlich ein paar Probleme. Ich fuhr damit in die Werkstatt, die ihn eigentlich herrichten sollte, allerdings war ich mit ihrer Arbeit nicht zufrieden. Und noch weniger zufrieden war ich mit der gewaltigen Summe, die ich dafür zahlen sollte! Ich diskutierte mit dem Eigentümer der Werkstatt und versuchte, den Preis nach unten zu drücken, da ich nicht für die Fehler bezahlen wollte, die die Werkstatt gemacht hatte. Irgendwann hatte er genug und sagte zu mir: ‚Also gut. Wenn du unsere Arbeit nicht gut findest, musst du dein Auto selbst reparieren.‘ Und das tat ich auch. Jahre später dachte ich an seine Worte zurück und erkannte, wie wertvoll sie gewesen waren. Sie überzeugten mich davon, dass nichts zu schwierig für mich ist und dass ich alles selbst lernen kann“, erinnert sich Tom.
Und so reparierte er sein Auto. Er brachte auch die Autos anderer Leute auf Vordermann, besonders alte mit komplexeren Problemen. Er baute sich sogar ein Rennauto. Und all dieses Wissen brachte ihn schließlich zum Rally-Sport. Auf sein erstes Rennen bereitete er sich im Flieger vor. „Ich hatte 40 oder 50 Seiten Anweisungen bekommen und der Flug dauerte lange genug, um alles durchzulesen“, lacht Tom, gibt aber zu, dass es kein Zuckerschlecken war. Rally-Autos sind extrem teuer und man muss sehr genau sein.
Im Gegensatz zu seinem Job, in dem er sich um Rally-Autos kümmerte, musste er für die Dakar nicht viel lernen. Matthias brauchte jemanden, der ihm helfen sollte, und Tom war perfekt für den Job. Und dennoch: Sich 24 Stunden am Tag um einen Rennfahrer zu kümmern – ihn aufzuwecken, ihm Frühstück zu bringen, ihm beim Anziehen und bei den Vorbereitungen zu helfen und nach seiner Rückkehr ins Basislager alles in umgekehrter Reihenfolge zu wiederholen, ist nicht sein „einziger“ Job. Tom ist außerdem als Mann für alles auf Abruf für alle Wohnmobile zuständig. „Ich bin für das ganze Team da“, erklärt Tom. „Matthias ist allerdings meine oberste Priorität. Das hält mich ganz schön auf Trab, da er genau weiß, was er will. Das ist aber auch der Grund dafür, dass die Arbeit für ihn sehr einfach ist.“
Matthias Walkner (AUT) Dakar 2019 © Marcin Kin
Miquel Pujol, Ersatzteil-Verantwortlicher Miquels Dakar-Geschichte begann auf der Lissabon-Dakar-Route im Jahr 2006. Als ihn die Einladung erreichte, war er gerade mal 23 und konnte es kaum erwarten, den Schwarzen Kontinent zu erkunden. Er stammt aus demselben Ort wie Dakar-Legende Marc Coma, der Weg zur Rally war also ein kurzer.
„Marc hat mich sozusagen rekrutiert und mich in das Rally-Team gebracht. Zu jener Zeit leitete Trunkenpolz das Team und 2006 war auch das Jahr, in dem unser Team-Manager sein Debüt feierte. In diesem Jahr löste Andy Caldecott den verletzten Jordi Duran ab und so kümmerte ich mich um sein Bike. Wir alle wissen, was mit Andy am 9. Januar 2006 passierte. Meine erste Dakar! Ich war am Boden zerstört. Im nächsten Jahr hatte Jordi Viladoms einen schweren Unfall und wieder kehrten wir mit einem bitteren Nachgeschmack im Mund nach Hause zurück. Aber so war Afrika – es forderte immer wieder seinen Tribut. Glücklicherweise passiert so etwas heute nicht mehr so häufig“, sagt er erleichtert und fügt hinzu: „Das Tollste aber ist, dass der Kern des Teams all diese Jahre zusammengeblieben ist. Stefan ist immer noch mit dabei, genauso wie Rolli, August, Miki und Jordi.“
Nach einigen Jahren Pause kehrte Miquel wieder in das Team und zur Dakar zurück, die im Jahr 2009 nach Südamerika übersiedelte. Vor ein paar Jahren stieg er vom Mechaniker zum Ersatzteil-Verantwortlichen auf und herrscht jetzt über ein Reich aus 1000 Ersatzteilen. Er ist glücklich, ein Teil des KTM-Dakar-Teams zu sein und erklärt uns: „Ich habe keine Mechaniker-Ausbildung, sondern bin eigentlich ein Industrieingenieur. Als Marc mir den Job anbot, packte ich die Gelegenheit, im Motorsport zu arbeiten, sofort beim Schopfe. Das Besondere bei KTM ist der Teamgeist. Wir sind wie eine Familie und das spürt man auch. Klar, in der Vergangenheit gab es eine große Rivalität zwischen den französischen und spanischen Teams. Die Kämpfe zwischen Cyril und Marc waren für das Team auch schwierig. Heute ist die Luft, die wir atmen, dünner. Die Dakar ist aber immer hart. Es kommt nicht darauf an, wie lange das Rennen ist, oder wo es stattfindet. Es ist immer noch das unberechenbarste Rennen der Welt.“
Wenn die Nächte extrem kurz sind, schläft Miquel unter den Sternen im Lastwagen. Wenn sie etwas länger werden, stellt er manchmal ein Zelt auf. In der Nacht wird er manchmal richtig nostalgisch. Obwohl er sich auf seinen Rally-Expeditionen wie ein Teil der orangefarbenen Familie fühlt, vermisst er seine eigene doch. „Natürlich will ich ein guter Vater sein. Mit einem Job wie dem meinen ist das aber nicht so einfach. Wir sind viel unterwegs und das ist der größte Nachteil. Mein Sohn ist jetzt fast drei Jahre alt und fängt an, sich zu fragen, wo ich stecke.“ Es ist ein schwacher Trost, aber wenigstens hat er unterwegs eine zweite Familie.
Tools & spare parts Dakar 2019 © Marcin Kin
Fotos: Marcin Kin
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